Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].schlimmsten Periode, wo so viele Unschuldige als Verbrecher fielen, entging er, ein geistiger Verbrecher, allen Gefahren. Er wurde nicht gefangen gehalten, nicht exilirt, nicht guillotinirt, nicht abgesetzt, nicht desavouirt, was man wohl in jenen wüsten Zeitläufen für einen Mann, der immer eine hervorragende Stellung einnahm, als einen großen negativen Erfolg betrachten kann. Er ist oft beim Prellen dabei gewesen, äußerte über ihn ein deutscher Diplomat, Herr von Jordan in Dresden, aber nie selbst geprellt worden! Jetzt konnte man mit Recht von ihm sagen: er werde von niemandem geliebt oder geachtet, von den meisten verachtet oder gehaßt. Gall beschäftigte sich in Paris außer mit seinen kranioskopischen Untersuchungen auch mit erweiterten physiognomischen Studien. Er behauptete, daß jeder Mensch in seiner äußeren Totalität von Gesicht, Blick, Sprache, Gang und Gebehrden ein bestimmtes Thier darstelle. Mehr zur geselligen Unterhaltung als in ernstem wissenschaftlichen Sinne nannte er jedem das Thier, welches in ihm stecke. Bei Talleyrand wollte er nicht mit der Sprache heraus, und nur auf Andringen des Fürsten sagte er: Monseigneur, vous avez le poux! Chateaubriand, der bei seiner maaßlosen Eitelkeit und seinen übrigen Schwächen doch für einen ehrlichen Mann gelten konnte, sah im Vorzimmer Ludwigs XVIII. den Fürsten Talleyrand geführt von dem Minister Savary, Herzog von Rovigo; er sagt darüber in seinen Memoiren: c'etait le vice conduit par le crime! Der allgemeine politische Zustand von Frankreich hatte sich während der Kammersession von 1820 auf 1821 eher schlimmsten Periode, wo so viele Unschuldige als Verbrecher fielen, entging er, ein geistiger Verbrecher, allen Gefahren. Er wurde nicht gefangen gehalten, nicht exilirt, nicht guillotinirt, nicht abgesetzt, nicht desavouirt, was man wohl in jenen wüsten Zeitläufen für einen Mann, der immer eine hervorragende Stellung einnahm, als einen großen negativen Erfolg betrachten kann. Er ist oft beim Prellen dabei gewesen, äußerte über ihn ein deutscher Diplomat, Herr von Jordan in Dresden, aber nie selbst geprellt worden! Jetzt konnte man mit Recht von ihm sagen: er werde von niemandem geliebt oder geachtet, von den meisten verachtet oder gehaßt. Gall beschäftigte sich in Paris außer mit seinen kranioskopischen Untersuchungen auch mit erweiterten physiognomischen Studien. Er behauptete, daß jeder Mensch in seiner äußeren Totalität von Gesicht, Blick, Sprache, Gang und Gebehrden ein bestimmtes Thier darstelle. Mehr zur geselligen Unterhaltung als in ernstem wissenschaftlichen Sinne nannte er jedem das Thier, welches in ihm stecke. Bei Talleyrand wollte er nicht mit der Sprache heraus, und nur auf Andringen des Fürsten sagte er: Monseigneur, vous avez le poux! Chateaubriand, der bei seiner maaßlosen Eitelkeit und seinen übrigen Schwächen doch für einen ehrlichen Mann gelten konnte, sah im Vorzimmer Ludwigs XVIII. den Fürsten Talleyrand geführt von dem Minister Savary, Herzog von Rovigo; er sagt darüber in seinen Mémoiren: c’était le vice conduit par le crime! Der allgemeine politische Zustand von Frankreich hatte sich während der Kammersession von 1820 auf 1821 eher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0508" n="500"/> schlimmsten Periode, wo so viele Unschuldige als Verbrecher fielen, entging er, ein geistiger Verbrecher, allen Gefahren. Er wurde nicht gefangen gehalten, nicht exilirt, nicht guillotinirt, nicht abgesetzt, nicht desavouirt, was man wohl in jenen wüsten Zeitläufen für einen Mann, der immer eine hervorragende Stellung einnahm, als einen großen negativen Erfolg betrachten kann. Er ist oft beim Prellen dabei gewesen, äußerte über ihn ein deutscher Diplomat, Herr von Jordan in Dresden, aber nie selbst geprellt worden! Jetzt konnte man mit Recht von ihm sagen: er werde von niemandem geliebt oder geachtet, von den meisten verachtet oder gehaßt. </p><lb/> <p>Gall beschäftigte sich in Paris außer mit seinen kranioskopischen Untersuchungen auch mit erweiterten physiognomischen Studien. Er behauptete, daß jeder Mensch in seiner äußeren Totalität von Gesicht, Blick, Sprache, Gang und Gebehrden ein bestimmtes Thier darstelle. Mehr zur geselligen Unterhaltung als in ernstem wissenschaftlichen Sinne nannte er jedem das Thier, welches in ihm stecke. Bei Talleyrand wollte er nicht mit der Sprache heraus, und nur auf Andringen des Fürsten sagte er: Monseigneur, vous avez le poux! </p><lb/> <p>Chateaubriand, der bei seiner maaßlosen Eitelkeit und seinen übrigen Schwächen doch für einen ehrlichen Mann gelten konnte, sah im Vorzimmer Ludwigs XVIII. den Fürsten Talleyrand geführt von dem Minister Savary, Herzog von Rovigo; er sagt darüber in seinen Mémoiren: c’était le vice conduit par le crime! </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Der allgemeine politische Zustand von Frankreich hatte sich während der Kammersession von 1820 auf 1821 eher </p> </div> </body> </text> </TEI> [500/0508]
schlimmsten Periode, wo so viele Unschuldige als Verbrecher fielen, entging er, ein geistiger Verbrecher, allen Gefahren. Er wurde nicht gefangen gehalten, nicht exilirt, nicht guillotinirt, nicht abgesetzt, nicht desavouirt, was man wohl in jenen wüsten Zeitläufen für einen Mann, der immer eine hervorragende Stellung einnahm, als einen großen negativen Erfolg betrachten kann. Er ist oft beim Prellen dabei gewesen, äußerte über ihn ein deutscher Diplomat, Herr von Jordan in Dresden, aber nie selbst geprellt worden! Jetzt konnte man mit Recht von ihm sagen: er werde von niemandem geliebt oder geachtet, von den meisten verachtet oder gehaßt.
Gall beschäftigte sich in Paris außer mit seinen kranioskopischen Untersuchungen auch mit erweiterten physiognomischen Studien. Er behauptete, daß jeder Mensch in seiner äußeren Totalität von Gesicht, Blick, Sprache, Gang und Gebehrden ein bestimmtes Thier darstelle. Mehr zur geselligen Unterhaltung als in ernstem wissenschaftlichen Sinne nannte er jedem das Thier, welches in ihm stecke. Bei Talleyrand wollte er nicht mit der Sprache heraus, und nur auf Andringen des Fürsten sagte er: Monseigneur, vous avez le poux!
Chateaubriand, der bei seiner maaßlosen Eitelkeit und seinen übrigen Schwächen doch für einen ehrlichen Mann gelten konnte, sah im Vorzimmer Ludwigs XVIII. den Fürsten Talleyrand geführt von dem Minister Savary, Herzog von Rovigo; er sagt darüber in seinen Mémoiren: c’était le vice conduit par le crime!
Der allgemeine politische Zustand von Frankreich hatte sich während der Kammersession von 1820 auf 1821 eher
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/508 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/508>, abgerufen am 16.02.2025. |