Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].die im 30jährigen Kriege von den Baiern geraubte und nach Rom geschenkte palatinische Bibliothek an die Universität Heidelberg zurückzugeben. Diesem gerechten Ansinnen ward zwar nur zum Theil entsprochen, indessen wurden vorläufig 39 palatinische Handschriften der Klassiker, die sich in Paris befanden, nach Heidelberg zurückgeschickt, und Professor Wilken holte später aus der Vaticana die palatinischen altdeutschen Handschriften, die den Römern niemals etwas genutzt hatten. Wie schön sagt darüber Göthe in seinem Briefe an Boisseree vom 21. Februar 1816: den Heidelbergern Glück zu den Manuscripten; wer hätte solche Zeiten erleben sollen, daß die auf dem vatikanischen Gletscher zusammengefrornen Eisschollen wieder würden rheinabwärts treiben. Obgleich Wilhelm von Humboldt an den Berathungen des Wiener Kongresses den thätigsten Antheil nahm, und besonders da, wo es auf schriftliche Arbeiten ankam, vor den Riß treten mußte, so betrachtete doch seine große Seele diese modernen Vorgänge nur aus der Vogelperspektive. Er besaß Objektivität des Geistes genug, um neben den verzwicktesten diplomatischen Geschäften auch seinen philologischen Studien nachzuhängen. Es ist bekannt, daß er die Uebersetzung von des Aeschylus Agamemnon in Wien vollendete. Die Arbeit entspricht den Anforderungen nicht, die man in neuerer Zeit an die Uebertragungen der Klassiker zu machen gewohnt ist. Humboldt selbst urtheilte später sehr streng über sein eignes Werk, und äußerte sich dahin, daß er die Aeschylus- und Pindarusübersetzungen nur deshalb unternommen, um sich zu überzeugen, daß er die Originale ganz verstehe; er gewann die Ansicht, man dürfe weder den Pindar noch die Chöre die im 30jährigen Kriege von den Baiern geraubte und nach Rom geschenkte palatinische Bibliothek an die Universität Heidelberg zurückzugeben. Diesem gerechten Ansinnen ward zwar nur zum Theil entsprochen, indessen wurden vorläufig 39 palatinische Handschriften der Klassiker, die sich in Paris befanden, nach Heidelberg zurückgeschickt, und Professor Wilken holte später aus der Vaticana die palatinischen altdeutschen Handschriften, die den Römern niemals etwas genutzt hatten. Wie schön sagt darüber Göthe in seinem Briefe an Boisserée vom 21. Februar 1816: den Heidelbergern Glück zu den Manuscripten; wer hätte solche Zeiten erleben sollen, daß die auf dem vatikanischen Gletscher zusammengefrornen Eisschollen wieder würden rheinabwärts treiben. Obgleich Wilhelm von Humboldt an den Berathungen des Wiener Kongresses den thätigsten Antheil nahm, und besonders da, wo es auf schriftliche Arbeiten ankam, vor den Riß treten mußte, so betrachtete doch seine große Seele diese modernen Vorgänge nur aus der Vogelperspektive. Er besaß Objektivität des Geistes genug, um neben den verzwicktesten diplomatischen Geschäften auch seinen philologischen Studien nachzuhängen. Es ist bekannt, daß er die Uebersetzung von des Aeschylus Agamemnon in Wien vollendete. Die Arbeit entspricht den Anforderungen nicht, die man in neuerer Zeit an die Uebertragungen der Klassiker zu machen gewohnt ist. Humboldt selbst urtheilte später sehr streng über sein eignes Werk, und äußerte sich dahin, daß er die Aeschylus- und Pindarusübersetzungen nur deshalb unternommen, um sich zu überzeugen, daß er die Originale ganz verstehe; er gewann die Ansicht, man dürfe weder den Pindar noch die Chöre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0053" n="45"/> die im 30jährigen Kriege von den Baiern geraubte und nach Rom geschenkte palatinische Bibliothek an die Universität Heidelberg zurückzugeben. Diesem gerechten Ansinnen ward zwar nur zum Theil entsprochen, indessen wurden vorläufig 39 palatinische Handschriften der Klassiker, die sich in Paris befanden, nach Heidelberg zurückgeschickt, und Professor Wilken holte später aus der Vaticana die palatinischen altdeutschen Handschriften, die den Römern niemals etwas genutzt hatten. Wie schön sagt darüber Göthe in seinem Briefe an Boisserée vom 21. Februar 1816: den Heidelbergern Glück zu den Manuscripten; wer hätte solche Zeiten erleben sollen, daß die auf dem vatikanischen Gletscher zusammengefrornen Eisschollen wieder würden rheinabwärts treiben. </p><lb/> <p>Obgleich Wilhelm von Humboldt an den Berathungen des Wiener Kongresses den thätigsten Antheil nahm, und besonders da, wo es auf schriftliche Arbeiten ankam, vor den Riß treten mußte, so betrachtete doch seine große Seele diese modernen Vorgänge nur aus der Vogelperspektive. Er besaß Objektivität des Geistes genug, um neben den verzwicktesten diplomatischen Geschäften auch seinen philologischen Studien nachzuhängen. Es ist bekannt, daß er die Uebersetzung von des Aeschylus Agamemnon in Wien vollendete. Die Arbeit entspricht den Anforderungen nicht, die man in neuerer Zeit an die Uebertragungen der Klassiker zu machen gewohnt ist. Humboldt selbst urtheilte später sehr streng über sein eignes Werk, und äußerte sich dahin, daß er die Aeschylus- und Pindarusübersetzungen nur deshalb unternommen, um sich zu überzeugen, daß er die Originale ganz verstehe; er gewann die Ansicht, man dürfe weder den Pindar noch die Chöre </p> </div> </body> </text> </TEI> [45/0053]
die im 30jährigen Kriege von den Baiern geraubte und nach Rom geschenkte palatinische Bibliothek an die Universität Heidelberg zurückzugeben. Diesem gerechten Ansinnen ward zwar nur zum Theil entsprochen, indessen wurden vorläufig 39 palatinische Handschriften der Klassiker, die sich in Paris befanden, nach Heidelberg zurückgeschickt, und Professor Wilken holte später aus der Vaticana die palatinischen altdeutschen Handschriften, die den Römern niemals etwas genutzt hatten. Wie schön sagt darüber Göthe in seinem Briefe an Boisserée vom 21. Februar 1816: den Heidelbergern Glück zu den Manuscripten; wer hätte solche Zeiten erleben sollen, daß die auf dem vatikanischen Gletscher zusammengefrornen Eisschollen wieder würden rheinabwärts treiben.
Obgleich Wilhelm von Humboldt an den Berathungen des Wiener Kongresses den thätigsten Antheil nahm, und besonders da, wo es auf schriftliche Arbeiten ankam, vor den Riß treten mußte, so betrachtete doch seine große Seele diese modernen Vorgänge nur aus der Vogelperspektive. Er besaß Objektivität des Geistes genug, um neben den verzwicktesten diplomatischen Geschäften auch seinen philologischen Studien nachzuhängen. Es ist bekannt, daß er die Uebersetzung von des Aeschylus Agamemnon in Wien vollendete. Die Arbeit entspricht den Anforderungen nicht, die man in neuerer Zeit an die Uebertragungen der Klassiker zu machen gewohnt ist. Humboldt selbst urtheilte später sehr streng über sein eignes Werk, und äußerte sich dahin, daß er die Aeschylus- und Pindarusübersetzungen nur deshalb unternommen, um sich zu überzeugen, daß er die Originale ganz verstehe; er gewann die Ansicht, man dürfe weder den Pindar noch die Chöre
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