Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].sich zwar nur die sehr ansprechende Musik zur Jungfrau von Orleans auf der Bühne erhalten, allein ihm gebührt das große Verdienst, die Gluckschen Opern in Berlin zuerst eingeführt zu haben. Mein Vater wußte diese herrlichen Musiken nach Gebühr zu schätzen. Armide war die erste Oper, die wir als Kinder zu hören bekamen; sie hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck. Als Armide sahen wir Frau Schick, gleich ausgezeichnet in Gesang und Spiel. Die Scene im dritten Akt, wo sie mit dem Dolche in der Hand auf den schlafenden Rinald losgeht, und endlich von Liebe überwältigt, den Mordstahl fallen läßt, war von der höchsten dramatischen Wirkung. Der frühzeitige Tod der braven Sängerin ward von allen Freunden der ernsten Musik bedauert, und nicht selten hörten wir die Klage aussprechen, daß es nun wohl mit den Gluckschen Opern vorbei sein werde. Aber diese Furcht war zum Glücke unbegründet: denn etwa i. J. 1813 erschien in Berlin eine Sängerin, die wie wenig andere zur Darstellung der Gluckschen Opern geeignet war: Frau Milder-Hauptmann vom Hoftheater in Wien. Bei einigen Gastrollen, die sie in Berlin gab, gefiel sie so außerordentlich, daß die Direktion sich beeilte, sie zu engagiren. Ihre Stimme vereinigte Weichheit, Reinheit und Stärke in einem noch nicht dagewesenen Grade. Mein Vater hatte in seiner Jugend die berühmte Mara in der Fülle ihrer Kraft gehört; er konnte trotz des mächtigen Einflusses, den die Jugendeindrücke zu behaupten pflegen, doch nicht läugnen, daß die Stimme der Milder schöner sei. Als im Jahre 1818 die gefeierte Catalani in Berlin sich hören ließ, und ihrerseits einige Glucksche Opern hörte, gestand sie unumwunden, daß sie die Palme des sich zwar nur die sehr ansprechende Musik zur Jungfrau von Orleans auf der Bühne erhalten, allein ihm gebührt das große Verdienst, die Gluckschen Opern in Berlin zuerst eingeführt zu haben. Mein Vater wußte diese herrlichen Musiken nach Gebühr zu schätzen. Armide war die erste Oper, die wir als Kinder zu hören bekamen; sie hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck. Als Armide sahen wir Frau Schick, gleich ausgezeichnet in Gesang und Spiel. Die Scene im dritten Akt, wo sie mit dem Dolche in der Hand auf den schlafenden Rinald losgeht, und endlich von Liebe überwältigt, den Mordstahl fallen läßt, war von der höchsten dramatischen Wirkung. Der frühzeitige Tod der braven Sängerin ward von allen Freunden der ernsten Musik bedauert, und nicht selten hörten wir die Klage aussprechen, daß es nun wohl mit den Gluckschen Opern vorbei sein werde. Aber diese Furcht war zum Glücke unbegründet: denn etwa i. J. 1813 erschien in Berlin eine Sängerin, die wie wenig andere zur Darstellung der Gluckschen Opern geeignet war: Frau Milder-Hauptmann vom Hoftheater in Wien. Bei einigen Gastrollen, die sie in Berlin gab, gefiel sie so außerordentlich, daß die Direktion sich beeilte, sie zu engagiren. Ihre Stimme vereinigte Weichheit, Reinheit und Stärke in einem noch nicht dagewesenen Grade. Mein Vater hatte in seiner Jugend die berühmte Mara in der Fülle ihrer Kraft gehört; er konnte trotz des mächtigen Einflusses, den die Jugendeindrücke zu behaupten pflegen, doch nicht läugnen, daß die Stimme der Milder schöner sei. Als im Jahre 1818 die gefeierte Catalani in Berlin sich hören ließ, und ihrerseits einige Glucksche Opern hörte, gestand sie unumwunden, daß sie die Palme des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0091" n="83"/> sich zwar nur die sehr ansprechende Musik zur Jungfrau von Orleans auf der Bühne erhalten, allein ihm gebührt das große Verdienst, die Gluckschen Opern in Berlin zuerst eingeführt zu haben. Mein Vater wußte diese herrlichen Musiken nach Gebühr zu schätzen. Armide war die erste Oper, die wir als Kinder zu hören bekamen; sie hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck. Als Armide sahen wir Frau Schick, gleich ausgezeichnet in Gesang und Spiel. Die Scene im dritten Akt, wo sie mit dem Dolche in der Hand auf den schlafenden Rinald losgeht, und endlich von Liebe überwältigt, den Mordstahl fallen läßt, war von der höchsten dramatischen Wirkung. Der frühzeitige Tod der braven Sängerin ward von allen Freunden der ernsten Musik bedauert, und nicht selten hörten wir die Klage aussprechen, daß es nun wohl mit den Gluckschen Opern vorbei sein werde. </p><lb/> <p>Aber diese Furcht war zum Glücke unbegründet: denn etwa i. J. 1813 erschien in Berlin eine Sängerin, die wie wenig andere zur Darstellung der Gluckschen Opern geeignet war: Frau Milder-Hauptmann vom Hoftheater in Wien. Bei einigen Gastrollen, die sie in Berlin gab, gefiel sie so außerordentlich, daß die Direktion sich beeilte, sie zu engagiren. Ihre Stimme vereinigte Weichheit, Reinheit und Stärke in einem noch nicht dagewesenen Grade. Mein Vater hatte in seiner Jugend die berühmte Mara in der Fülle ihrer Kraft gehört; er konnte trotz des mächtigen Einflusses, den die Jugendeindrücke zu behaupten pflegen, doch nicht läugnen, daß die Stimme der Milder schöner sei. Als im Jahre 1818 die gefeierte Catalani in Berlin sich hören ließ, und ihrerseits einige Glucksche Opern hörte, gestand sie unumwunden, daß sie die Palme des </p> </div> </body> </text> </TEI> [83/0091]
sich zwar nur die sehr ansprechende Musik zur Jungfrau von Orleans auf der Bühne erhalten, allein ihm gebührt das große Verdienst, die Gluckschen Opern in Berlin zuerst eingeführt zu haben. Mein Vater wußte diese herrlichen Musiken nach Gebühr zu schätzen. Armide war die erste Oper, die wir als Kinder zu hören bekamen; sie hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck. Als Armide sahen wir Frau Schick, gleich ausgezeichnet in Gesang und Spiel. Die Scene im dritten Akt, wo sie mit dem Dolche in der Hand auf den schlafenden Rinald losgeht, und endlich von Liebe überwältigt, den Mordstahl fallen läßt, war von der höchsten dramatischen Wirkung. Der frühzeitige Tod der braven Sängerin ward von allen Freunden der ernsten Musik bedauert, und nicht selten hörten wir die Klage aussprechen, daß es nun wohl mit den Gluckschen Opern vorbei sein werde.
Aber diese Furcht war zum Glücke unbegründet: denn etwa i. J. 1813 erschien in Berlin eine Sängerin, die wie wenig andere zur Darstellung der Gluckschen Opern geeignet war: Frau Milder-Hauptmann vom Hoftheater in Wien. Bei einigen Gastrollen, die sie in Berlin gab, gefiel sie so außerordentlich, daß die Direktion sich beeilte, sie zu engagiren. Ihre Stimme vereinigte Weichheit, Reinheit und Stärke in einem noch nicht dagewesenen Grade. Mein Vater hatte in seiner Jugend die berühmte Mara in der Fülle ihrer Kraft gehört; er konnte trotz des mächtigen Einflusses, den die Jugendeindrücke zu behaupten pflegen, doch nicht läugnen, daß die Stimme der Milder schöner sei. Als im Jahre 1818 die gefeierte Catalani in Berlin sich hören ließ, und ihrerseits einige Glucksche Opern hörte, gestand sie unumwunden, daß sie die Palme des
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