Beide Erklärungen, dass die Erde früher mit ihrer Axe senkrecht
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auf der Erdbahn gestanden, oder dass die Neigung 90° betragen habe, sind gleich unstatthaft, um daraus das Vorkommen der Tropenpro- dukte in allen Breiten zu erklären. Im ersten Falle (I) würde für jeden gegebenen Punkt der Erdoberfläche die Sonne um Mittag immer denselben Stand haben, unter 70° Breite (also sehr nahe am Pole) würde sie noch 20° hoch stehn, unter 50° noch 40° pp. welches man sehr uneigentlich mit dem Namen eines ewigen Frühlings be- zeichnet hat: hiebei läst sich aber nachweisen, dass dennoch das Palmenklima nicht höher als das südliche Frankreich hinauf- reichen würde. Im 2ten Falle (II) würde es noch weit schlimmer um die Palmen stehn: denn an jedem Orte würde die Sonne einmal im Zenith, und einmal im Nadir stehn, man würde überall einen sehr langen Tag, und eine eben so lange Nacht haben: daher würde die Zeit in welcher Palmen wachsen könten, nur sehr kurz sein, man würde Palmen von 14 Tagen und 6 Wochen haben, nicht aber Stämme, die nach unserer Rechnung 60-70 unserer Jahre zum Wachsthum gebraucht.
Es ist ein glückliches Resultat meiner Reisen, dass wir über das Palmenklima genauer unterrichtet worden sind, und seine
Beide Erklärungen, dass die Erde früher mit ihrer Axe senkrecht
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auf der Erdbahn gestanden, oder dass die Neigung 90° betragen habe, sind gleich unstatthaft, um daraus das Vorkommen der Tropenpro- dukte in allen Breiten zu erklären. Im ersten Falle (I) würde für jeden gegebenen Punkt der Erdoberfläche die Sonne um Mittag immer denselben Stand haben, unter 70° Breite (also sehr nahe am Pole) würde sie noch 20° hoch stehn, unter 50° noch 40° pp. welches man sehr uneigentlich mit dem Namen eines ewigen Frühlings be- zeichnet hat: hiebei läst sich aber nachweisen, dass dennoch das Palmenklima nicht höher als das südliche Frankreich hinauf- reichen würde. Im 2ten Falle (II) würde es noch weit schlimmer um die Palmen stehn: denn an jedem Orte würde die Sonne einmal im Zenith, und einmal im Nadir stehn, man würde überall einen sehr langen Tag, und eine eben so lange Nacht haben: daher würde die Zeit in welcher Palmen wachsen könten, nur sehr kurz sein, man würde Palmen von 14 Tagen und 6 Wochen haben, nicht aber Stämme, die nach unserer Rechnung 60–70 unserer Jahre zum Wachsthum gebraucht.
Es ist ein glückliches Resultat meiner Reisen, dass wir über das Palmenklima genauer unterrichtet worden sind, und seine
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Beide Erklärungen, dass die Erde früher mit ihrer Axe senkrecht
auf der Erdbahn gestanden, oder dass die Neigung 90° betragen habe,
sind gleich unstatthaft, um daraus das Vorkommen der Tropenpro-
dukte in allen Breiten zu erklären. Im ersten Falle (I) würde für
jeden gegebenen Punkt der Erdoberfläche die Sonne um Mittag immer
denselben Stand haben, unter 70° Breite (also sehr nahe am Pole)
würde sie noch 20° hoch stehn, unter 50° noch 40° pp welches man
sehr uneigentlich mit dem Namen eines ewigen Frühlings be-
zeichnet hat: hiebei läst sich aber nachweisen, dass dennoch das
Palmenklima nicht höher als das südliche Frankreich hinauf-
reichen würde. Im 2 Falle (II) würde es noch weit schlimmer um
die Palmen stehn: denn an jedem Orte würde die Sonne einmal im
Zenith, und einmal im Nadir stehn, man würde überall einen
sehr langen Tag, und eine eben so lange Nacht haben: daher würde
die Zeit in welcher Palmen wachsen könten, nur sehr kurz sein,
man würde Palmen von 14 Tagen und 6 Wochen haben, nicht
aber Stämme, die nach unserer Rechnung 60–70 unserer Jahre
zum Wachsthum gebraucht.
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Parthey, Gustav: Alexander von Humboldt[:] Vorlesungen über physikalische Geographie. Novmbr. 1827 bis April,[!] 1828. Nachgeschrieben von G. Partheÿ. [Berlin], [1827/28]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Berliner Universität, 3.11.1827–26.4.1828.], S. 94v. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_msgermqu1711_1828/192>, abgerufen am 23.11.2024.
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