Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.Jzt brannte und zitterte in zartem Umris Nun warf Vult Kopf-schüttelnd die Flöte Jzt brannte und zitterte in zartem Umris Nun warf Vult Kopf-ſchuͤttelnd die Floͤte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0165" n="155"/> <p>Jzt brannte und zitterte in zartem Umris<lb/> eine Obſtallee durchſichtig und rieſenhaft in der<lb/> Abendgluth — ſchwer und ſchlummernd ſchwamm<lb/> die Sonne auf ihrem Meer — es zog ſie hinun¬<lb/> ter — ihr goldner Heiligenſchein gluͤhte fort im<lb/> leeren Blau — und die Echotoͤne ſchwebten und<lb/> ſtarben auf dem Glanz: Da kehrte ſich jezt Vult,<lb/> mit der Floͤte am Munde, nach dem Bruder<lb/> um, und ſah es, wie er hinter ihm ſtand, von<lb/> den Scharlachfluͤgeln der Abendroͤthe und der<lb/> geruͤhrten Entzuͤckung uͤberdekt, und mit bloͤdem<lb/> ſtillen Weinen im blauen Auge. — Die heilige<lb/> Muſik zeigt den Menſchen eine Vergangenheit<lb/> und eine Zukunft, die ſie nie erleben. Auch dem<lb/> Floͤtenſpieler quoll jezt die Bruſt wol von unge¬<lb/> ſtuͤmer Liebe. Walt ſchrieb ſie blos den Toͤnen<lb/> zu, druͤkte aber wild und voll lauterer Liebe die<lb/> ſchoͤpferiſche Hand. Vult ſah ihn ſcharf an,<lb/> wie fragend. „Auch an meinen Bruder denk'<lb/> ich, ſagte Walt; und wie ſollt' ich mich jezt<lb/> nicht nach ihm ſehnen?“</p><lb/> <p>Nun warf Vult Kopf-ſchuͤttelnd die Floͤte<lb/> weg — ergrif ihn — hielt ihn von ſich, da er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [155/0165]
Jzt brannte und zitterte in zartem Umris
eine Obſtallee durchſichtig und rieſenhaft in der
Abendgluth — ſchwer und ſchlummernd ſchwamm
die Sonne auf ihrem Meer — es zog ſie hinun¬
ter — ihr goldner Heiligenſchein gluͤhte fort im
leeren Blau — und die Echotoͤne ſchwebten und
ſtarben auf dem Glanz: Da kehrte ſich jezt Vult,
mit der Floͤte am Munde, nach dem Bruder
um, und ſah es, wie er hinter ihm ſtand, von
den Scharlachfluͤgeln der Abendroͤthe und der
geruͤhrten Entzuͤckung uͤberdekt, und mit bloͤdem
ſtillen Weinen im blauen Auge. — Die heilige
Muſik zeigt den Menſchen eine Vergangenheit
und eine Zukunft, die ſie nie erleben. Auch dem
Floͤtenſpieler quoll jezt die Bruſt wol von unge¬
ſtuͤmer Liebe. Walt ſchrieb ſie blos den Toͤnen
zu, druͤkte aber wild und voll lauterer Liebe die
ſchoͤpferiſche Hand. Vult ſah ihn ſcharf an,
wie fragend. „Auch an meinen Bruder denk'
ich, ſagte Walt; und wie ſollt' ich mich jezt
nicht nach ihm ſehnen?“
Nun warf Vult Kopf-ſchuͤttelnd die Floͤte
weg — ergrif ihn — hielt ihn von ſich, da er
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |