Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

Als er in der 4ten Klausel sich anreden hör¬
te vom todten Wohlthäter: so wäre er den Thrä¬
nen, deren er sich in der Rathsstube schämte,
zu nahe gekommen, wenn er nicht über Lob und
Tadel wechselnd hätte erröthen müssen. Der Lor¬
beerkranz, und die Zärtlichkeit, womit Kabel
ihm jenen aufsezte, begeisterte ihn mit einer ganz
andern heissern Liebe als das Füllhorn, das er
über seine Zukunft ausschüttete. -- Die darauf
folgenden Stellen, welche für den Vortheil der
7 Erben allerlei aussprachen, versezten dem
Schultheis den Athem, indem sie dem Sohne
einen freiern gaben. Nur bei der 14ten Klausel,
die seiner unbefleckten Schwanenbrust den Schand¬
flek einer weiblichen Verführung zutrauete oder
verbot, wurde sein Gesicht eine rothe Flamme;
wie konnte, dachte er, ein sterbender Menschen¬
freund so oft so unzart schreiben?

Nach der Ablesung des Testaments begehr¬
te Knoll nach der 11ten Klausel "Harnisch
muß
" einen Eid von ihm, nichts auf das Testa¬
ment zu entlehnen. Kuhnold sagte, er sei nur
"an Eides statt" es zu geloben schuldig. "Ich

Flegeljahre. I. Bd. 13

Als er in der 4ten Klauſel ſich anreden hoͤr¬
te vom todten Wohlthaͤter: ſo waͤre er den Thraͤ¬
nen, deren er ſich in der Rathsſtube ſchaͤmte,
zu nahe gekommen, wenn er nicht uͤber Lob und
Tadel wechſelnd haͤtte erroͤthen muͤſſen. Der Lor¬
beerkranz, und die Zaͤrtlichkeit, womit Kabel
ihm jenen aufſezte, begeiſterte ihn mit einer ganz
andern heiſſern Liebe als das Fuͤllhorn, das er
uͤber ſeine Zukunft ausſchuͤttete. — Die darauf
folgenden Stellen, welche fuͤr den Vortheil der
7 Erben allerlei ausſprachen, verſezten dem
Schultheis den Athem, indem ſie dem Sohne
einen freiern gaben. Nur bei der 14ten Klauſel,
die ſeiner unbefleckten Schwanenbruſt den Schand¬
flek einer weiblichen Verfuͤhrung zutrauete oder
verbot, wurde ſein Geſicht eine rothe Flamme;
wie konnte, dachte er, ein ſterbender Menſchen¬
freund ſo oft ſo unzart ſchreiben?

Nach der Ableſung des Teſtaments begehr¬
te Knoll nach der 11ten Klauſel „Harniſch
muß
“ einen Eid von ihm, nichts auf das Teſta¬
ment zu entlehnen. Kuhnold ſagte, er ſei nur
„an Eides ſtatt“ es zu geloben ſchuldig. „Ich

Flegeljahre. I. Bd. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0203" n="193"/>
        <p>Als er in der 4ten Klau&#x017F;el &#x017F;ich anreden ho&#x0364;<lb/>
te vom todten Wohltha&#x0364;ter: &#x017F;o wa&#x0364;re er den Thra&#x0364;¬<lb/>
nen, deren er &#x017F;ich in der Raths&#x017F;tube &#x017F;cha&#x0364;mte,<lb/>
zu nahe gekommen, wenn er nicht u&#x0364;ber Lob und<lb/>
Tadel wech&#x017F;elnd ha&#x0364;tte erro&#x0364;then mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Der Lor¬<lb/>
beerkranz, und die Za&#x0364;rtlichkeit, womit Kabel<lb/>
ihm jenen auf&#x017F;ezte, begei&#x017F;terte ihn mit einer ganz<lb/>
andern hei&#x017F;&#x017F;ern Liebe als das Fu&#x0364;llhorn, das er<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;eine Zukunft aus&#x017F;chu&#x0364;ttete. &#x2014; Die darauf<lb/>
folgenden Stellen, welche fu&#x0364;r den Vortheil der<lb/>
7 Erben allerlei aus&#x017F;prachen, ver&#x017F;ezten dem<lb/>
Schultheis den Athem, indem &#x017F;ie dem Sohne<lb/>
einen freiern gaben. Nur bei der 14ten Klau&#x017F;el,<lb/>
die &#x017F;einer unbefleckten Schwanenbru&#x017F;t den Schand¬<lb/>
flek einer weiblichen Verfu&#x0364;hrung zutrauete oder<lb/>
verbot, wurde &#x017F;ein Ge&#x017F;icht eine rothe Flamme;<lb/>
wie konnte, dachte er, ein &#x017F;terbender Men&#x017F;chen¬<lb/>
freund &#x017F;o oft &#x017F;o unzart &#x017F;chreiben?</p><lb/>
        <p>Nach der Able&#x017F;ung des Te&#x017F;taments begehr¬<lb/>
te Knoll nach der 11ten Klau&#x017F;el &#x201E;<hi rendition="#g">Harni&#x017F;ch<lb/>
muß</hi>&#x201C; einen Eid von ihm, nichts auf das Te&#x017F;ta¬<lb/>
ment zu entlehnen. Kuhnold &#x017F;agte, er &#x017F;ei nur<lb/>
&#x201E;an Eides &#x017F;tatt&#x201C; es zu geloben &#x017F;chuldig. &#x201E;Ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Flegeljahre. <hi rendition="#aq">I.</hi> Bd. 13<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0203] Als er in der 4ten Klauſel ſich anreden hoͤr¬ te vom todten Wohlthaͤter: ſo waͤre er den Thraͤ¬ nen, deren er ſich in der Rathsſtube ſchaͤmte, zu nahe gekommen, wenn er nicht uͤber Lob und Tadel wechſelnd haͤtte erroͤthen muͤſſen. Der Lor¬ beerkranz, und die Zaͤrtlichkeit, womit Kabel ihm jenen aufſezte, begeiſterte ihn mit einer ganz andern heiſſern Liebe als das Fuͤllhorn, das er uͤber ſeine Zukunft ausſchuͤttete. — Die darauf folgenden Stellen, welche fuͤr den Vortheil der 7 Erben allerlei ausſprachen, verſezten dem Schultheis den Athem, indem ſie dem Sohne einen freiern gaben. Nur bei der 14ten Klauſel, die ſeiner unbefleckten Schwanenbruſt den Schand¬ flek einer weiblichen Verfuͤhrung zutrauete oder verbot, wurde ſein Geſicht eine rothe Flamme; wie konnte, dachte er, ein ſterbender Menſchen¬ freund ſo oft ſo unzart ſchreiben? Nach der Ableſung des Teſtaments begehr¬ te Knoll nach der 11ten Klauſel „Harniſch muß“ einen Eid von ihm, nichts auf das Teſta¬ ment zu entlehnen. Kuhnold ſagte, er ſei nur „an Eides ſtatt“ es zu geloben ſchuldig. „Ich Flegeljahre. I. Bd. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/203
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/203>, abgerufen am 27.11.2024.