Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.Es war kein Meineid; denn er war jener Der Kandidat nahm alles friedlich hin, weil Er hielt mit jedem Steckbrief seine eigne Per¬ Er versezte daher nur, daß er dem Bruder Es war kein Meineid; denn er war jener Der Kandidat nahm alles friedlich hin, weil Er hielt mit jedem Steckbrief ſeine eigne Per¬ Er verſezte daher nur, daß er dem Bruder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0080" n="70"/> Es war kein Meineid; denn er war jener<lb/> entlaufne Vult ſelber, aber ein ſtarker Schelm.</p><lb/> <p>Der Kandidat nahm alles friedlich hin, weil<lb/> ihn eine neue Lage, in welche er ſich immer ſo<lb/> ſchnell geworfen fuͤhlte, daß er keine Sekunde<lb/> Zeit zum Ausarbeiten eines moraliſchen Models<lb/> und Lineals bekam, uͤber alles abſties. Es gab<lb/> wenige Kaſuiſten und Paſtoraltheologen, die er<lb/> nicht geleſen, ſogar den Talmud, blos um ſee¬<lb/> lig zu werden.</p><lb/> <p>Er hielt mit jedem Steckbrief ſeine eigne Per¬<lb/> ſon zuſammen, um, im Falle ſie zufaͤllig der be¬<lb/> gehrten gleich ſaͤhe, ſo fort juriſtiſch und ſittlich<lb/> geſattelt zu ſeyn, ſo wie er ſich haͤufig des Mords,<lb/> der Nothzucht und anderer Fraiſchfaͤlle heimlich<lb/> aus Spas anklagte, um ſich darein zu finden,<lb/> falls ein Boͤſewicht oͤffentlich daſſelbe thaͤte im<lb/> Ernſt.</p><lb/> <p>Er verſezte daher nur, daß er dem Bruder<lb/> Gottwalt keine frohere Nachricht bringen koͤnne,<lb/> als die von Vults Leben, da er den Fluͤchtling<lb/> unendlich liebe. „So, lebt die Fliege noch? fiel<lb/> der Wirth ein. Wir hielten ſie ſaͤmmtlich fuͤr<lb/> krepirt. Wie ſah er denn aus, gnaͤdiger Herr?“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [70/0080]
Es war kein Meineid; denn er war jener
entlaufne Vult ſelber, aber ein ſtarker Schelm.
Der Kandidat nahm alles friedlich hin, weil
ihn eine neue Lage, in welche er ſich immer ſo
ſchnell geworfen fuͤhlte, daß er keine Sekunde
Zeit zum Ausarbeiten eines moraliſchen Models
und Lineals bekam, uͤber alles abſties. Es gab
wenige Kaſuiſten und Paſtoraltheologen, die er
nicht geleſen, ſogar den Talmud, blos um ſee¬
lig zu werden.
Er hielt mit jedem Steckbrief ſeine eigne Per¬
ſon zuſammen, um, im Falle ſie zufaͤllig der be¬
gehrten gleich ſaͤhe, ſo fort juriſtiſch und ſittlich
geſattelt zu ſeyn, ſo wie er ſich haͤufig des Mords,
der Nothzucht und anderer Fraiſchfaͤlle heimlich
aus Spas anklagte, um ſich darein zu finden,
falls ein Boͤſewicht oͤffentlich daſſelbe thaͤte im
Ernſt.
Er verſezte daher nur, daß er dem Bruder
Gottwalt keine frohere Nachricht bringen koͤnne,
als die von Vults Leben, da er den Fluͤchtling
unendlich liebe. „So, lebt die Fliege noch? fiel
der Wirth ein. Wir hielten ſie ſaͤmmtlich fuͤr
krepirt. Wie ſah er denn aus, gnaͤdiger Herr?“
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