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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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"So fest steht er nun ewig da -- früh als
noch keine Menschen hier waren, schnitt er auch
die schweren Wetterwolken entzwei, und zerbrach
ihre Donnerkeile und machte es hell und schön,
im Thale ohne Augen -- Und wie tausendmal
mag das Abendroth im Frühlingsglanz herrlich
ihn vergoldet haben, da noch kein Leben unten
stand, das in die Herrlichkeit mit Träumen ver¬
sank. -- -- Bist du denn nicht, du grosse Natur,
gar zu unendlich und zu gros für die armen
Kleinen hier unten, die nicht Jahre lang, ge¬
schweige Jahrtausende glänzen können, ohn' es
zu zeigen -- Und dich, o Gott, hat noch kein
Gott gesehen. Wir sind ganz gewis klein."

Je mehr es Abend wurde, desto mehr gieng
das epische Gefühl in das süsse romantische über
und hinter den Rosen-Bergen wandelte wieder
Wina in Gärten. Denn der Abend färbet zu¬
gleich die optischen und geistigen Schatten bunter
an. Er sehnte sich nach einem fremden Menschen¬
worte; zulezt drängt' er sich an einen Mann, der
einen Schiebekarren voll Wolle ungemein langsam
schob, und immer stand und nach der Sonne sah.

„So feſt ſteht er nun ewig da — fruͤh als
noch keine Menſchen hier waren, ſchnitt er auch
die ſchweren Wetterwolken entzwei, und zerbrach
ihre Donnerkeile und machte es hell und ſchoͤn,
im Thale ohne Augen — Und wie tauſendmal
mag das Abendroth im Fruͤhlingsglanz herrlich
ihn vergoldet haben, da noch kein Leben unten
ſtand, das in die Herrlichkeit mit Traͤumen ver¬
ſank. — — Biſt du denn nicht, du groſſe Natur,
gar zu unendlich und zu gros fuͤr die armen
Kleinen hier unten, die nicht Jahre lang, ge¬
ſchweige Jahrtauſende glaͤnzen koͤnnen, ohn' es
zu zeigen — Und dich, o Gott, hat noch kein
Gott geſehen. Wir ſind ganz gewis klein.“

Je mehr es Abend wurde, deſto mehr gieng
das epiſche Gefuͤhl in das ſuͤſſe romantiſche uͤber
und hinter den Roſen-Bergen wandelte wieder
Wina in Gaͤrten. Denn der Abend faͤrbet zu¬
gleich die optiſchen und geiſtigen Schatten bunter
an. Er ſehnte ſich nach einem fremden Menſchen¬
worte; zulezt draͤngt' er ſich an einen Mann, der
einen Schiebekarren voll Wolle ungemein langſam
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[116/0124] „So feſt ſteht er nun ewig da — fruͤh als noch keine Menſchen hier waren, ſchnitt er auch die ſchweren Wetterwolken entzwei, und zerbrach ihre Donnerkeile und machte es hell und ſchoͤn, im Thale ohne Augen — Und wie tauſendmal mag das Abendroth im Fruͤhlingsglanz herrlich ihn vergoldet haben, da noch kein Leben unten ſtand, das in die Herrlichkeit mit Traͤumen ver¬ ſank. — — Biſt du denn nicht, du groſſe Natur, gar zu unendlich und zu gros fuͤr die armen Kleinen hier unten, die nicht Jahre lang, ge¬ ſchweige Jahrtauſende glaͤnzen koͤnnen, ohn' es zu zeigen — Und dich, o Gott, hat noch kein Gott geſehen. Wir ſind ganz gewis klein.“ Je mehr es Abend wurde, deſto mehr gieng das epiſche Gefuͤhl in das ſuͤſſe romantiſche uͤber und hinter den Roſen-Bergen wandelte wieder Wina in Gaͤrten. Denn der Abend faͤrbet zu¬ gleich die optiſchen und geiſtigen Schatten bunter an. Er ſehnte ſich nach einem fremden Menſchen¬ worte; zulezt draͤngt' er ſich an einen Mann, der einen Schiebekarren voll Wolle ungemein langſam ſchob, und immer ſtand und nach der Sonne ſah.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/124>, abgerufen am 27.11.2024.