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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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Wina gehen, in die katholische Kirche. Leztere
macht' er ohne Umstände zur Simultankirche und
trat der zarten Nonne nach, um von ihr die
Zeile: "wann, o Schiksal, wann wird endlich"
fortsingen zu hören; denn sein inneres Ohr hörte
sie noch ganz deutlich auf der Gasse.

Im Tempel fand er sie kniend und gebogen
auf den Stufen des Hochaltars, ihr schmucklo¬
ser Kopf senkte sich zum Gebet, ihr weisses Kleid
floß die Stufen herab. -- Der Meßpriester in
wunderlicher Kleidung und Bedienung machte
geheimnisvolle Bewegungen -- die Altarlichter
loderten wie Opferfeuer -- ein Weihrauchwölkgen
hieng am hohen Fensterbogen -- und die unter¬
gehende Sonne blickte noch glühend durch die
obersten bunten Scheiben hindurch und erleuch¬
tete das Wölkgen -- unten im weiten Tempel
war es Nacht. Walt, der Lutheraner, dem ein
betendes Mädgen am Altare eine neue himmli¬
sche Erscheinung war, zerfloß fast hinter ihrem
Rücken in Licht und Feuer, in Andacht und
Liebe. Als wäre die heilige Jungfrau, aus dem
beflammten Altarblatte, worauf sie gen Him¬

Flegeljahre III. Bd. 3

Wina gehen, in die katholiſche Kirche. Leztere
macht' er ohne Umſtaͤnde zur Simultankirche und
trat der zarten Nonne nach, um von ihr die
Zeile: „wann, o Schikſal, wann wird endlich“
fortſingen zu hoͤren; denn ſein inneres Ohr hoͤrte
ſie noch ganz deutlich auf der Gaſſe.

Im Tempel fand er ſie kniend und gebogen
auf den Stufen des Hochaltars, ihr ſchmucklo¬
ſer Kopf ſenkte ſich zum Gebet, ihr weiſſes Kleid
floß die Stufen herab. — Der Meßprieſter in
wunderlicher Kleidung und Bedienung machte
geheimnisvolle Bewegungen — die Altarlichter
loderten wie Opferfeuer — ein Weihrauchwoͤlkgen
hieng am hohen Fenſterbogen — und die unter¬
gehende Sonne blickte noch gluͤhend durch die
oberſten bunten Scheiben hindurch und erleuch¬
tete das Woͤlkgen — unten im weiten Tempel
war es Nacht. Walt, der Lutheraner, dem ein
betendes Maͤdgen am Altare eine neue himmli¬
ſche Erſcheinung war, zerfloß faſt hinter ihrem
Ruͤcken in Licht und Feuer, in Andacht und
Liebe. Als waͤre die heilige Jungfrau, aus dem
beflammten Altarblatte, worauf ſie gen Him¬

Flegeljahre III. Bd. 3
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[33/0041] Wina gehen, in die katholiſche Kirche. Leztere macht' er ohne Umſtaͤnde zur Simultankirche und trat der zarten Nonne nach, um von ihr die Zeile: „wann, o Schikſal, wann wird endlich“ fortſingen zu hoͤren; denn ſein inneres Ohr hoͤrte ſie noch ganz deutlich auf der Gaſſe. Im Tempel fand er ſie kniend und gebogen auf den Stufen des Hochaltars, ihr ſchmucklo¬ ſer Kopf ſenkte ſich zum Gebet, ihr weiſſes Kleid floß die Stufen herab. — Der Meßprieſter in wunderlicher Kleidung und Bedienung machte geheimnisvolle Bewegungen — die Altarlichter loderten wie Opferfeuer — ein Weihrauchwoͤlkgen hieng am hohen Fenſterbogen — und die unter¬ gehende Sonne blickte noch gluͤhend durch die oberſten bunten Scheiben hindurch und erleuch¬ tete das Woͤlkgen — unten im weiten Tempel war es Nacht. Walt, der Lutheraner, dem ein betendes Maͤdgen am Altare eine neue himmli¬ ſche Erſcheinung war, zerfloß faſt hinter ihrem Ruͤcken in Licht und Feuer, in Andacht und Liebe. Als waͤre die heilige Jungfrau, aus dem beflammten Altarblatte, worauf ſie gen Him¬ Flegeljahre III. Bd. 3

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/41>, abgerufen am 23.11.2024.