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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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du dich nicht kennst, wie die kindliche, dann
bist du eine; aber dein Bewustsein ist dein
Tod.""

So scheint gleichnisweise, zermalmtes
Glas ganz weis, aber ganzes ist beinahe
gar unsichtbar.

So dachte aber nicht Walt: sondern als
Raphaela an ihn die obige Anrede gehalten, gab
er die aufrichtige Antwort, daß er nicht einmal
bei seinem eignen Geschlechte, geschweige bei dem
heiligsten, das er kenne, irgend einen Schritt
anders auslege, als das fremde Herz be¬
gehre.

Indeß hatte sie ihn weiter nichts zu fragen,
als: wie der Sterbende -- dem sie als einem
Freunde ihres Vaters wohl gewollet, wie allen
Menschen und den sie sehr bedauert -- sich in
der Nacht bei seinem lezten Willen (wovon durch
die sieben Zeugen, als durch sieben Thore eben
so viele Brode hinlänglicher Nachrichten der
Stadt herausgereicht waren) sich benommen ha¬
be, was sie gern zu wissen wünsche, da ein
Sterbender ein höheres Wort sei als ein Le¬
bender.

du dich nicht kennſt, wie die kindliche, dann
biſt du eine; aber dein Bewuſtſein iſt dein
Tod.““

So ſcheint gleichnisweiſe, zermalmtes
Glas ganz weis, aber ganzes iſt beinahe
gar unſichtbar.

So dachte aber nicht Walt: ſondern als
Raphaela an ihn die obige Anrede gehalten, gab
er die aufrichtige Antwort, daß er nicht einmal
bei ſeinem eignen Geſchlechte, geſchweige bei dem
heiligſten, das er kenne, irgend einen Schritt
anders auslege, als das fremde Herz be¬
gehre.

Indeß hatte ſie ihn weiter nichts zu fragen,
als: wie der Sterbende — dem ſie als einem
Freunde ihres Vaters wohl gewollet, wie allen
Menſchen und den ſie ſehr bedauert — ſich in
der Nacht bei ſeinem lezten Willen (wovon durch
die ſieben Zeugen, als durch ſieben Thore eben
ſo viele Brode hinlaͤnglicher Nachrichten der
Stadt herausgereicht waren) ſich benommen ha¬
be, was ſie gern zu wiſſen wuͤnſche, da ein
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[62/0070] du dich nicht kennſt, wie die kindliche, dann biſt du eine; aber dein Bewuſtſein iſt dein Tod.““ So ſcheint gleichnisweiſe, zermalmtes Glas ganz weis, aber ganzes iſt beinahe gar unſichtbar. So dachte aber nicht Walt: ſondern als Raphaela an ihn die obige Anrede gehalten, gab er die aufrichtige Antwort, daß er nicht einmal bei ſeinem eignen Geſchlechte, geſchweige bei dem heiligſten, das er kenne, irgend einen Schritt anders auslege, als das fremde Herz be¬ gehre. Indeß hatte ſie ihn weiter nichts zu fragen, als: wie der Sterbende — dem ſie als einem Freunde ihres Vaters wohl gewollet, wie allen Menſchen und den ſie ſehr bedauert — ſich in der Nacht bei ſeinem lezten Willen (wovon durch die ſieben Zeugen, als durch ſieben Thore eben ſo viele Brode hinlaͤnglicher Nachrichten der Stadt herausgereicht waren) ſich benommen ha¬ be, was ſie gern zu wiſſen wuͤnſche, da ein Sterbender ein hoͤheres Wort ſei als ein Le¬ bender.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/70>, abgerufen am 16.05.2024.