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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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der hernieder in sein langes Thal, wie auf einen
Eltern-Schoos.

"Wie geht es sich so schön in den Säulenhal¬
len der Natur, auf dem Grün und zwischen dem
Grün, in ewiger Begleitung des unendlichen Le¬
bens! sang er, ohne besondere Metrik, laut hin,
und sah sich um, damit niemand seine Singstim¬
me belausche. -- Wallet nur hin, ihr hübschen
Schmetterlinge, und geniesset die Honigwoche des
kleinen Seins -- ohne Hunger, ohne Durst *) --
ein schönes Sonnenleben -- ein Liebessein -- und
die einzige Kammer des Herzens ist nur eine ewige
Brautkammer der Liebe -- beugt die Blumen --
lasset euch wehen -- spielt im Glanz und entzit¬
tert nur linde wie Blüthen dem Leben."

Er sah eine Heerde stummer Nachtigallen,
die sich zum nächtlichen Abzug rüsteten. "Wo
fliegt ihr hin, ihr süssen Frühlings-Klänge?
Sucht ihr die Myrte zur Liebe, sucht ihr den
Lorbeer zum Sange? Begehrt ihr ewige Blü¬

*) Schmetterlinge haben nur eine Herzkammer und
die meisten keinen Magen.

der hernieder in ſein langes Thal, wie auf einen
Eltern-Schoos.

„Wie geht es ſich ſo ſchoͤn in den Saͤulenhal¬
len der Natur, auf dem Gruͤn und zwiſchen dem
Gruͤn, in ewiger Begleitung des unendlichen Le¬
bens! ſang er, ohne beſondere Metrik, laut hin,
und ſah ſich um, damit niemand ſeine Singſtim¬
me belauſche. — Wallet nur hin, ihr huͤbſchen
Schmetterlinge, und genieſſet die Honigwoche des
kleinen Seins — ohne Hunger, ohne Durſt *)
ein ſchoͤnes Sonnenleben — ein Liebesſein — und
die einzige Kammer des Herzens iſt nur eine ewige
Brautkammer der Liebe — beugt die Blumen —
laſſet euch wehen — ſpielt im Glanz und entzit¬
tert nur linde wie Bluͤthen dem Leben.“

Er ſah eine Heerde ſtummer Nachtigallen,
die ſich zum naͤchtlichen Abzug ruͤſteten. „Wo
fliegt ihr hin, ihr ſuͤſſen Fruͤhlings-Klaͤnge?
Sucht ihr die Myrte zur Liebe, ſucht ihr den
Lorbeer zum Sange? Begehrt ihr ewige Bluͤ¬

*) Schmetterlinge haben nur eine Herzkammer und
die meiſten keinen Magen.
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[88/0096] der hernieder in ſein langes Thal, wie auf einen Eltern-Schoos. „Wie geht es ſich ſo ſchoͤn in den Saͤulenhal¬ len der Natur, auf dem Gruͤn und zwiſchen dem Gruͤn, in ewiger Begleitung des unendlichen Le¬ bens! ſang er, ohne beſondere Metrik, laut hin, und ſah ſich um, damit niemand ſeine Singſtim¬ me belauſche. — Wallet nur hin, ihr huͤbſchen Schmetterlinge, und genieſſet die Honigwoche des kleinen Seins — ohne Hunger, ohne Durſt *) — ein ſchoͤnes Sonnenleben — ein Liebesſein — und die einzige Kammer des Herzens iſt nur eine ewige Brautkammer der Liebe — beugt die Blumen — laſſet euch wehen — ſpielt im Glanz und entzit¬ tert nur linde wie Bluͤthen dem Leben.“ Er ſah eine Heerde ſtummer Nachtigallen, die ſich zum naͤchtlichen Abzug ruͤſteten. „Wo fliegt ihr hin, ihr ſuͤſſen Fruͤhlings-Klaͤnge? Sucht ihr die Myrte zur Liebe, ſucht ihr den Lorbeer zum Sange? Begehrt ihr ewige Bluͤ¬ *) Schmetterlinge haben nur eine Herzkammer und die meiſten keinen Magen.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/96>, abgerufen am 21.11.2024.