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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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Schnee-Glanz auf allen Hügeln und Wiesen und
dabei den blauen Himmel darüber her! Doch da¬
mals war der Erde der Himmel nicht sehr nöthig.
-- Hinter mir hatt' ich die ernsthafte Glocke mit
ihrer eiskalten Zunge und mit ihrem Hammer,
und ich dachte mir es schauerlich, wie sie einsam
in der frostigen Mitternacht zu mir ins tiefe Haus
und warme Bette hinab reden werde. Ihr Sum¬
men und Aussummen in dieser Nähe umfloß den
Geist mit einem stürmenden Meere, und alle drei
Zeiten des Lebens schienen darin unter einander zu
wogen."

"Bei Gott! Hier hast du Recht, Walt. Nie
hör' ich dieses Tonbrausen ohne Schauder und oh¬
ne den Gedanken, daß der Müller erwacht, so
bald die rauschende Mühle still steht; unser Leib
mit seiner Holz- und Wasser-Welt; indeß ergözt
die Betrachtung schlecht für den Augenblick."

"Nimm nicht dein ernstes Herz so wieder
zurück, Bruder! Sollt' ich dein Gleichniß wieder
mit einem beantworten, so würd' ich sagen, diese
Stille sei die auf dem Gipfel des Gotthardsberges.
Alles ist dort stumm, kein Vogel und kein Lüft¬

Schnee-Glanz auf allen Huͤgeln und Wieſen und
dabei den blauen Himmel daruͤber her! Doch da¬
mals war der Erde der Himmel nicht ſehr noͤthig.
— Hinter mir hatt' ich die ernſthafte Glocke mit
ihrer eiskalten Zunge und mit ihrem Hammer,
und ich dachte mir es ſchauerlich, wie ſie einſam
in der froſtigen Mitternacht zu mir ins tiefe Haus
und warme Bette hinab reden werde. Ihr Sum¬
men und Ausſummen in dieſer Naͤhe umfloß den
Geiſt mit einem ſtuͤrmenden Meere, und alle drei
Zeiten des Lebens ſchienen darin unter einander zu
wogen.“

„Bei Gott! Hier haſt du Recht, Walt. Nie
hoͤr' ich dieſes Tonbrauſen ohne Schauder und oh¬
ne den Gedanken, daß der Muͤller erwacht, ſo
bald die rauſchende Muͤhle ſtill ſteht; unſer Leib
mit ſeiner Holz- und Waſſer-Welt; indeß ergoͤzt
die Betrachtung ſchlecht fuͤr den Augenblick.“

„Nimm nicht dein ernſtes Herz ſo wieder
zuruͤck, Bruder! Sollt' ich dein Gleichniß wieder
mit einem beantworten, ſo wuͤrd' ich ſagen, dieſe
Stille ſei die auf dem Gipfel des Gotthardsberges.
Alles iſt dort ſtumm, kein Vogel und kein Luͤft¬

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[173/0179] Schnee-Glanz auf allen Huͤgeln und Wieſen und dabei den blauen Himmel daruͤber her! Doch da¬ mals war der Erde der Himmel nicht ſehr noͤthig. — Hinter mir hatt' ich die ernſthafte Glocke mit ihrer eiskalten Zunge und mit ihrem Hammer, und ich dachte mir es ſchauerlich, wie ſie einſam in der froſtigen Mitternacht zu mir ins tiefe Haus und warme Bette hinab reden werde. Ihr Sum¬ men und Ausſummen in dieſer Naͤhe umfloß den Geiſt mit einem ſtuͤrmenden Meere, und alle drei Zeiten des Lebens ſchienen darin unter einander zu wogen.“ „Bei Gott! Hier haſt du Recht, Walt. Nie hoͤr' ich dieſes Tonbrauſen ohne Schauder und oh¬ ne den Gedanken, daß der Muͤller erwacht, ſo bald die rauſchende Muͤhle ſtill ſteht; unſer Leib mit ſeiner Holz- und Waſſer-Welt; indeß ergoͤzt die Betrachtung ſchlecht fuͤr den Augenblick.“ „Nimm nicht dein ernſtes Herz ſo wieder zuruͤck, Bruder! Sollt' ich dein Gleichniß wieder mit einem beantworten, ſo wuͤrd' ich ſagen, dieſe Stille ſei die auf dem Gipfel des Gotthardsberges. Alles iſt dort ſtumm, kein Vogel und kein Luͤft¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/179>, abgerufen am 18.06.2024.