Walt sah nach und sann nach und sprach seuf¬ zend: "wohl ists nicht anders!"
Arme Korrektoren! wer hat noch eurer Mut¬ ter-Beschwerungen und Kindsnöthen in irgend einem Buche ernsthaft genug gedacht, das ihr zu korrigiren bekommen! So wenig, daß Mil¬ lionen in allen Welttheilen aus der Welt gehen, ohne je erfahren zu haben, was ein Korrektor aussteht, ich meine nicht etwa dann, wann er theils hungert, theils friert, theils nichts hat als sitzende Lebensart, sondern dann, wann er ein Buch gern lesen möchte, das er zwar vor sich sieht (noch dazu zweimal, geschrieben und ge¬ druckt), aber korrigiren soll; denn verfolgt er wie ein Rezensent die Buchstaben, so entrinnt ihm der Sinn und er sitzt immer trister da; eben so gut könnte einer sich mit einer Wolke, durch de¬ ren Dunststäubchen er eine Alpe besteigt, den Durst löschen.
Will er aber Sinn genießen, und sich mit nachheben: so rutscht er blind und glatt über die Buchstaben hinweg und lässet alles stehen; reisset ihn gar ein Buch so hin wie die zweite Auflage
Walt ſah nach und ſann nach und ſprach ſeuf¬ zend: „wohl iſts nicht anders!“
Arme Korrektoren! wer hat noch eurer Mut¬ ter-Beſchwerungen und Kindsnoͤthen in irgend einem Buche ernſthaft genug gedacht, das ihr zu korrigiren bekommen! So wenig, daß Mil¬ lionen in allen Welttheilen aus der Welt gehen, ohne je erfahren zu haben, was ein Korrektor ausſteht, ich meine nicht etwa dann, wann er theils hungert, theils friert, theils nichts hat als ſitzende Lebensart, ſondern dann, wann er ein Buch gern leſen moͤchte, das er zwar vor ſich ſieht (noch dazu zweimal, geſchrieben und ge¬ druckt), aber korrigiren ſoll; denn verfolgt er wie ein Rezenſent die Buchſtaben, ſo entrinnt ihm der Sinn und er ſitzt immer triſter da; eben ſo gut koͤnnte einer ſich mit einer Wolke, durch de¬ ren Dunſtſtaͤubchen er eine Alpe beſteigt, den Durſt loͤſchen.
Will er aber Sinn genießen, und ſich mit nachheben: ſo rutſcht er blind und glatt uͤber die Buchſtaben hinweg und laͤſſet alles ſtehen; reiſſet ihn gar ein Buch ſo hin wie die zweite Auflage
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[199/0205]
Walt ſah nach und ſann nach und ſprach ſeuf¬
zend: „wohl iſts nicht anders!“
Arme Korrektoren! wer hat noch eurer Mut¬
ter-Beſchwerungen und Kindsnoͤthen in irgend
einem Buche ernſthaft genug gedacht, das ihr
zu korrigiren bekommen! So wenig, daß Mil¬
lionen in allen Welttheilen aus der Welt gehen,
ohne je erfahren zu haben, was ein Korrektor
ausſteht, ich meine nicht etwa dann, wann er
theils hungert, theils friert, theils nichts hat
als ſitzende Lebensart, ſondern dann, wann er
ein Buch gern leſen moͤchte, das er zwar vor ſich
ſieht (noch dazu zweimal, geſchrieben und ge¬
druckt), aber korrigiren ſoll; denn verfolgt er
wie ein Rezenſent die Buchſtaben, ſo entrinnt ihm
der Sinn und er ſitzt immer triſter da; eben ſo
gut koͤnnte einer ſich mit einer Wolke, durch de¬
ren Dunſtſtaͤubchen er eine Alpe beſteigt, den
Durſt loͤſchen.
Will er aber Sinn genießen, und ſich mit
nachheben: ſo rutſcht er blind und glatt uͤber die
Buchſtaben hinweg und laͤſſet alles ſtehen; reiſſet
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/205>, abgerufen am 27.11.2024.
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