Gaste gar gedruckt, er wieß ihm nämlich die fein¬ sten Liebes-Madrigale, die er, wie er sagte, drucken lassen in Centesimo-Vigesimo Format und nie über einen Bogen stark; es waren Verseblätt¬ chen aus Pariser Zuckerwerk ausgeschält, wahre Süßbriefchen, deren Plagiat Flitte sich dadurch erleichterte, daß er den süßen Einband aufaß. Warum lässet die deutsche Poesie der französischen den Vorzug der süßesten Einkleidung; warum wollen wir nämlich, wenn die Franzosen Zucker und Gebäck um ihre Verse wickeln, es umkehren und mit dem unserigen Zucker und Gewürz einklei¬ den und einpacken -- könnte man hier fragen, wenn es der Ort wäre, hier zu antworten. -- Walt prieß unmäßig; der Elsaßer schwamm auf Freudenöl, ertrank beinah in Lobes-Salb-Oel. Ueber jeden Genuß, den man den Menschen wohl¬ wollend zubereite, waltet der Zufall der Aufnah¬ me, des Gaumens, des Magens, der ihn verar¬ beitet; hingegen für den Genuß eines aufrichtigen Lobes hat ohne Ausnahme jeder Mensch zu jeder Stunde Ohr und Magen aufgethan; und er sagt
Flegeljahre IV. Bd. 3
Gaſte gar gedruckt, er wieß ihm naͤmlich die fein¬ ſten Liebes-Madrigale, die er, wie er ſagte, drucken laſſen in Centeſimo-Vigeſimo Format und nie uͤber einen Bogen ſtark; es waren Verſeblaͤtt¬ chen aus Pariſer Zuckerwerk ausgeſchaͤlt, wahre Suͤßbriefchen, deren Plagiat Flitte ſich dadurch erleichterte, daß er den ſuͤßen Einband aufaß. Warum laͤſſet die deutſche Poeſie der franzoͤſiſchen den Vorzug der ſuͤßeſten Einkleidung; warum wollen wir naͤmlich, wenn die Franzoſen Zucker und Gebaͤck um ihre Verſe wickeln, es umkehren und mit dem unſerigen Zucker und Gewuͤrz einklei¬ den und einpacken — koͤnnte man hier fragen, wenn es der Ort waͤre, hier zu antworten. — Walt prieß unmaͤßig; der Elſaßer ſchwamm auf Freudenoͤl, ertrank beinah in Lobes-Salb-Oel. Ueber jeden Genuß, den man den Menſchen wohl¬ wollend zubereite, waltet der Zufall der Aufnah¬ me, des Gaumens, des Magens, der ihn verar¬ beitet; hingegen fuͤr den Genuß eines aufrichtigen Lobes hat ohne Ausnahme jeder Menſch zu jeder Stunde Ohr und Magen aufgethan; und er ſagt
Flegeljahre IV. Bd. 3
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Gaſte gar gedruckt, er wieß ihm naͤmlich die fein¬
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Suͤßbriefchen, deren Plagiat Flitte ſich dadurch
erleichterte, daß er den ſuͤßen Einband aufaß.
Warum laͤſſet die deutſche Poeſie der franzoͤſiſchen
den Vorzug der ſuͤßeſten Einkleidung; warum
wollen wir naͤmlich, wenn die Franzoſen Zucker
und Gebaͤck um ihre Verſe wickeln, es umkehren
und mit dem unſerigen Zucker und Gewuͤrz einklei¬
den und einpacken — koͤnnte man hier fragen,
wenn es der Ort waͤre, hier zu antworten. —
Walt prieß unmaͤßig; der Elſaßer ſchwamm auf
Freudenoͤl, ertrank beinah in Lobes-Salb-Oel.
Ueber jeden Genuß, den man den Menſchen wohl¬
wollend zubereite, waltet der Zufall der Aufnah¬
me, des Gaumens, des Magens, der ihn verar¬
beitet; hingegen fuͤr den Genuß eines aufrichtigen
Lobes hat ohne Ausnahme jeder Menſch zu jeder
Stunde Ohr und Magen aufgethan; und er ſagt
Flegeljahre IV. Bd. 3
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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