Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

schlecht wie der Mond zurückzuwandeln scheint,
weil er den Zug der Wolke, die darunter hin¬
fliegt, für den Gang des himmlischen Körpers
selber ansieht und der voll erhabner Seufzer,
voll erhabner Wünsche und mit schweigendem Er¬
geben zwar neben sich eine würgende Hand und
das Fallen seiner Brüder hört, aber doch das
aufgerichtete auf dem ewig heitern Sonnenange¬
sicht der Vorsehung ruhende Auge nicht nieder¬
schlägt, und den das Unglük wie der Blitz den
Menschen, zwar entseelt aber nicht entstellt;
edler Geist, ich habe freilich nicht den Muth,
zu dir zu sagen: "würdige mich, auf mein
"Schattenspiel zu schauen, damit du über dem
"idealischen Abendstern, den ich vor dir vorüber
"führe, die Erde vergissest, auf der du stehest
"und die sich jetzt mit tausend Gräbern wie ein
"Vampyr an das Menschengeschlecht anlegt und
"Opferblut saugt" -- -- Und doch hab' ich an
dich unter dem ganzen Buche gedacht und die
Hofnung, mein kleines biographisches Nacht-
und Abendstück vor nasse, aufgerichtete und feste
Augen zu bringen, war der tragende Malerstok
der müden Hand gewesen.

ſchlecht wie der Mond zuruͤckzuwandeln ſcheint,
weil er den Zug der Wolke, die darunter hin¬
fliegt, fuͤr den Gang des himmliſchen Koͤrpers
ſelber anſieht und der voll erhabner Seufzer,
voll erhabner Wuͤnſche und mit ſchweigendem Er¬
geben zwar neben ſich eine wuͤrgende Hand und
das Fallen ſeiner Bruͤder hoͤrt, aber doch das
aufgerichtete auf dem ewig heitern Sonnenange¬
ſicht der Vorſehung ruhende Auge nicht nieder¬
ſchlaͤgt, und den das Ungluͤk wie der Blitz den
Menſchen, zwar entſeelt aber nicht entſtellt;
edler Geiſt, ich habe freilich nicht den Muth,
zu dir zu ſagen: »wuͤrdige mich, auf mein
»Schattenſpiel zu ſchauen, damit du uͤber dem
»idealiſchen Abendſtern, den ich vor dir voruͤber
»fuͤhre, die Erde vergiſſeſt, auf der du ſteheſt
»und die ſich jetzt mit tauſend Graͤbern wie ein
»Vampyr an das Menſchengeſchlecht anlegt und
»Opferblut ſaugt« — — Und doch hab' ich an
dich unter dem ganzen Buche gedacht und die
Hofnung, mein kleines biographiſches Nacht-
und Abendſtuͤck vor naſſe, aufgerichtete und feſte
Augen zu bringen, war der tragende Malerſtok
der muͤden Hand geweſen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0017" n="6"/>
&#x017F;chlecht wie der Mond zuru&#x0364;ckzuwandeln &#x017F;cheint,<lb/>
weil er den Zug der Wolke, die darunter hin¬<lb/>
fliegt, fu&#x0364;r den Gang des himmli&#x017F;chen Ko&#x0364;rpers<lb/>
&#x017F;elber an&#x017F;ieht und der voll erhabner Seufzer,<lb/>
voll erhabner Wu&#x0364;n&#x017F;che und mit &#x017F;chweigendem Er¬<lb/>
geben zwar neben &#x017F;ich eine wu&#x0364;rgende Hand und<lb/>
das Fallen &#x017F;einer Bru&#x0364;der ho&#x0364;rt, aber doch das<lb/>
aufgerichtete auf dem ewig heitern Sonnenange¬<lb/>
&#x017F;icht der Vor&#x017F;ehung ruhende Auge nicht nieder¬<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;gt, und den das Unglu&#x0364;k wie der Blitz den<lb/>
Men&#x017F;chen, zwar <hi rendition="#g">ent&#x017F;eelt</hi> aber nicht <hi rendition="#g">ent&#x017F;tellt</hi>;<lb/>
edler Gei&#x017F;t, ich habe freilich nicht den Muth,<lb/>
zu dir zu &#x017F;agen: »wu&#x0364;rdige mich, auf mein<lb/>
»Schatten&#x017F;piel zu &#x017F;chauen, damit du u&#x0364;ber dem<lb/>
»ideali&#x017F;chen Abend&#x017F;tern, den ich vor dir voru&#x0364;ber<lb/>
»fu&#x0364;hre, die Erde vergi&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t, auf der du &#x017F;tehe&#x017F;t<lb/>
»und die &#x017F;ich jetzt mit tau&#x017F;end Gra&#x0364;bern wie ein<lb/>
»Vampyr an das Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht anlegt und<lb/>
»Opferblut &#x017F;augt« &#x2014; &#x2014; Und doch hab' ich an<lb/>
dich unter dem ganzen Buche gedacht und die<lb/>
Hofnung, mein kleines biographi&#x017F;ches Nacht-<lb/>
und Abend&#x017F;tu&#x0364;ck vor na&#x017F;&#x017F;e, aufgerichtete und fe&#x017F;te<lb/>
Augen zu bringen, war der tragende Maler&#x017F;tok<lb/>
der mu&#x0364;den Hand gewe&#x017F;en.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0017] ſchlecht wie der Mond zuruͤckzuwandeln ſcheint, weil er den Zug der Wolke, die darunter hin¬ fliegt, fuͤr den Gang des himmliſchen Koͤrpers ſelber anſieht und der voll erhabner Seufzer, voll erhabner Wuͤnſche und mit ſchweigendem Er¬ geben zwar neben ſich eine wuͤrgende Hand und das Fallen ſeiner Bruͤder hoͤrt, aber doch das aufgerichtete auf dem ewig heitern Sonnenange¬ ſicht der Vorſehung ruhende Auge nicht nieder¬ ſchlaͤgt, und den das Ungluͤk wie der Blitz den Menſchen, zwar entſeelt aber nicht entſtellt; edler Geiſt, ich habe freilich nicht den Muth, zu dir zu ſagen: »wuͤrdige mich, auf mein »Schattenſpiel zu ſchauen, damit du uͤber dem »idealiſchen Abendſtern, den ich vor dir voruͤber »fuͤhre, die Erde vergiſſeſt, auf der du ſteheſt »und die ſich jetzt mit tauſend Graͤbern wie ein »Vampyr an das Menſchengeſchlecht anlegt und »Opferblut ſaugt« — — Und doch hab' ich an dich unter dem ganzen Buche gedacht und die Hofnung, mein kleines biographiſches Nacht- und Abendſtuͤck vor naſſe, aufgerichtete und feſte Augen zu bringen, war der tragende Malerſtok der muͤden Hand geweſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/17
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/17>, abgerufen am 21.11.2024.