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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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hinein und ließ die Lohe weg: "was hab' ich denn
"aber gethan? Hab' ich nicht für ihn mit tausend
"Freuden gesprochen, gehandelt, geschwiegen? Kein
"Blick, kein Wort ist mir vorzuwerfen -- was denn
"noch sonst?"

Der Engel des Lichts oder Feuers mußte jetzt
entsetzlich gegen die vorwedelnde Flamme blasen.

"Sonst noch? -- Gedanken vielleicht, die aber wie
"Feldmäuse der Seele unter die Füße springen und
"sich wie Ottern anlegen. -- Aber dürfen mir denn
"die Kantianer ansinnen, daß ich das kleine Bild
"der schönsten und besten Gestalt, die ich in dreier
"Herren Landen bisher vergeblich citirte, einen sol¬
"chen Raphaels-Kopf, eine solche Paradieses-Antike
"zum Fenster hinauswerfe aus der Villa mei¬
"nes Kopfes wie Aepfelschalen und Pflaumenker¬
"ne? Mich würd' es von den Kantianern wun¬
"dern. -- Und wenns drinnen stehen bleiben soll,
"soll ich denn ein Vieh seyn, ihr Katecheten, und
"es kalt anglotzen? -- Ich mag nicht! Ja Ich will
"mir selber trauen und von dem schönsten Herzen
"sogar die Freundschaft fodern und ihm doch die
"Liebe lassen!" -- Lieber Leser, unter diesem gan¬
zen summarischen Prozeß vor der Gesetzkommission
des Gewissens hab' ich über dreißigmal zu mir ge¬
sagt: "ihr beide, du und der Leser, seid um kein
"Haar ehrlicher gegen das Gewissen!"

Hesperus. I. Th. L

hinein und ließ die Lohe weg: »was hab' ich denn
»aber gethan? Hab' ich nicht fuͤr ihn mit tauſend
»Freuden geſprochen, gehandelt, geſchwiegen? Kein
»Blick, kein Wort iſt mir vorzuwerfen — was denn
»noch ſonſt?«

Der Engel des Lichts oder Feuers mußte jetzt
entſetzlich gegen die vorwedelnde Flamme blaſen.

»Sonſt noch? — Gedanken vielleicht, die aber wie
»Feldmaͤuſe der Seele unter die Fuͤße ſpringen und
»ſich wie Ottern anlegen. — Aber duͤrfen mir denn
»die Kantianer anſinnen, daß ich das kleine Bild
»der ſchoͤnſten und beſten Geſtalt, die ich in dreier
»Herren Landen bisher vergeblich citirte, einen ſol¬
»chen Raphaels-Kopf, eine ſolche Paradieſes-Antike
»zum Fenſter hinauswerfe aus der Villa mei¬
»nes Kopfes wie Aepfelſchalen und Pflaumenker¬
»ne? Mich wuͤrd' es von den Kantianern wun¬
»dern. — Und wenns drinnen ſtehen bleiben ſoll,
»ſoll ich denn ein Vieh ſeyn, ihr Katecheten, und
»es kalt anglotzen? — Ich mag nicht! Ja Ich will
»mir ſelber trauen und von dem ſchoͤnſten Herzen
»ſogar die Freundſchaft fodern und ihm doch die
»Liebe laſſen!« — Lieber Leſer, unter dieſem gan¬
zen ſummariſchen Prozeß vor der Geſetzkommiſſion
des Gewiſſens hab' ich uͤber dreißigmal zu mir ge¬
ſagt: »ihr beide, du und der Leſer, ſeid um kein
»Haar ehrlicher gegen das Gewiſſen!«

Heſperus. I. Th. L
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[161/0172] hinein und ließ die Lohe weg: »was hab' ich denn »aber gethan? Hab' ich nicht fuͤr ihn mit tauſend »Freuden geſprochen, gehandelt, geſchwiegen? Kein »Blick, kein Wort iſt mir vorzuwerfen — was denn »noch ſonſt?« Der Engel des Lichts oder Feuers mußte jetzt entſetzlich gegen die vorwedelnde Flamme blaſen. »Sonſt noch? — Gedanken vielleicht, die aber wie »Feldmaͤuſe der Seele unter die Fuͤße ſpringen und »ſich wie Ottern anlegen. — Aber duͤrfen mir denn »die Kantianer anſinnen, daß ich das kleine Bild »der ſchoͤnſten und beſten Geſtalt, die ich in dreier »Herren Landen bisher vergeblich citirte, einen ſol¬ »chen Raphaels-Kopf, eine ſolche Paradieſes-Antike »zum Fenſter hinauswerfe aus der Villa mei¬ »nes Kopfes wie Aepfelſchalen und Pflaumenker¬ »ne? Mich wuͤrd' es von den Kantianern wun¬ »dern. — Und wenns drinnen ſtehen bleiben ſoll, »ſoll ich denn ein Vieh ſeyn, ihr Katecheten, und »es kalt anglotzen? — Ich mag nicht! Ja Ich will »mir ſelber trauen und von dem ſchoͤnſten Herzen »ſogar die Freundſchaft fodern und ihm doch die »Liebe laſſen!« — Lieber Leſer, unter dieſem gan¬ zen ſummariſchen Prozeß vor der Geſetzkommiſſion des Gewiſſens hab' ich uͤber dreißigmal zu mir ge¬ ſagt: »ihr beide, du und der Leſer, ſeid um kein »Haar ehrlicher gegen das Gewiſſen!« Heſperus. I. Th. L

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/172>, abgerufen am 17.05.2024.