mittag um eine ganze Woche zurückgerollet; Viktor war in eine neue seelige Insel herabgefallen: neuge¬ boren und froh kroch er rückwärts aus seiner fahren¬ den Habe. "O ich tolles Ich! sagt' er -- ich freue "mich aber nicht außerordentlich darüber, daß ein "halbes Loth Schlafkörner eine ganze glühende "Welt im Menschen wegbaitzen kann, ganz weg -- und "daß das Umlegen des Körpers der Erdfall sei¬ "nes Paradieses und seiner Hölle wird."
Auf der Landstraße sprangen zwei Sänftenträger in kurzem Gallop zwischen den Tragestangen ihres ledernen Würfels dahin. Er setzte ihnen nach -- ihre Last, dacht' er, muß ihnen noch viel leichter seyn als ein ganzes Land, und dessen Zepter, die beide gleichwohl ein Regent wie ein Gauckler den Degen, tanzend zu tragen versteht auf der Nase, auf den Zähnen, auf allem. Sie trugen aber das schwerste Ding in der Welt, worunter oft Städte und Thronen und Welttheile einbrachen.
"Womit setzt ihr so herum?" fragt er. -- "Mit "unserem allergnädigsten Herrn! -- Januar wars -- es ist aber den ästhetischen Kunstgriffen, womit ein Autor die Erwartung seiner Leser so außerordentlich anspannt, ganz gemäß, daß ich's nicht eher eröfne, was von Jenner in der springenden Sänfte saß, als in dem folgenden Wort.
mittag um eine ganze Woche zuruͤckgerollet; Viktor war in eine neue ſeelige Inſel herabgefallen: neuge¬ boren und froh kroch er ruͤckwaͤrts aus ſeiner fahren¬ den Habe. »O ich tolles Ich! ſagt' er — ich freue »mich aber nicht außerordentlich daruͤber, daß ein »halbes Loth Schlafkoͤrner eine ganze gluͤhende »Welt im Menſchen wegbaitzen kann, ganz weg — und »daß das Umlegen des Koͤrpers der Erdfall ſei¬ »nes Paradieſes und ſeiner Hoͤlle wird.«
Auf der Landſtraße ſprangen zwei Saͤnftentraͤger in kurzem Gallop zwiſchen den Trageſtangen ihres ledernen Wuͤrfels dahin. Er ſetzte ihnen nach — ihre Laſt, dacht' er, muß ihnen noch viel leichter ſeyn als ein ganzes Land, und deſſen Zepter, die beide gleichwohl ein Regent wie ein Gauckler den Degen, tanzend zu tragen verſteht auf der Naſe, auf den Zaͤhnen, auf allem. Sie trugen aber das ſchwerſte Ding in der Welt, worunter oft Staͤdte und Thronen und Welttheile einbrachen.
»Womit ſetzt ihr ſo herum?« fragt er. — »Mit »unſerem allergnaͤdigſten Herrn! — Januar wars — es iſt aber den aͤſthetiſchen Kunſtgriffen, womit ein Autor die Erwartung ſeiner Leſer ſo außerordentlich anſpannt, ganz gemaͤß, daß ich's nicht eher eroͤfne, was von Jenner in der ſpringenden Saͤnfte ſaß, als in dem folgenden Wort.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0241"n="230"/>
mittag um eine ganze Woche zuruͤckgerollet; Viktor<lb/>
war in eine neue ſeelige Inſel herabgefallen: neuge¬<lb/>
boren und froh kroch er ruͤckwaͤrts aus ſeiner fahren¬<lb/>
den Habe. »O ich tolles Ich! ſagt' er — ich freue<lb/>
»mich aber nicht außerordentlich daruͤber, daß ein<lb/>
»halbes Loth Schlafkoͤrner eine ganze gluͤhende<lb/>
»Welt im Menſchen wegbaitzen kann, ganz weg — und<lb/>
»daß das <hirendition="#g">Umlegen</hi> des Koͤrpers der <hirendition="#g">Erdfall</hi>ſei¬<lb/>
»nes Paradieſes und ſeiner Hoͤlle wird.«</p><lb/><p>Auf der Landſtraße ſprangen zwei Saͤnftentraͤger<lb/>
in kurzem Gallop zwiſchen den Trageſtangen ihres<lb/>
ledernen Wuͤrfels dahin. Er ſetzte ihnen nach —<lb/>
ihre Laſt, dacht' er, muß ihnen noch viel leichter<lb/>ſeyn als ein ganzes Land, und deſſen Zepter, die<lb/>
beide gleichwohl ein Regent wie ein Gauckler den<lb/>
Degen, tanzend zu tragen verſteht auf der Naſe, auf<lb/>
den Zaͤhnen, auf allem. Sie trugen aber das<lb/>ſchwerſte Ding in der Welt, worunter oft Staͤdte<lb/>
und Thronen und Welttheile einbrachen.</p><lb/><p>»Womit ſetzt ihr ſo herum?« fragt er. — »Mit<lb/>
»unſerem allergnaͤdigſten Herrn! — Januar wars —<lb/>
es iſt aber den aͤſthetiſchen Kunſtgriffen, womit ein<lb/>
Autor die Erwartung ſeiner Leſer ſo außerordentlich<lb/>
anſpannt, ganz gemaͤß, daß ich's nicht eher eroͤfne,<lb/>
was von Jenner in der ſpringenden Saͤnfte ſaß, als<lb/>
in dem folgenden Wort.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[230/0241]
mittag um eine ganze Woche zuruͤckgerollet; Viktor
war in eine neue ſeelige Inſel herabgefallen: neuge¬
boren und froh kroch er ruͤckwaͤrts aus ſeiner fahren¬
den Habe. »O ich tolles Ich! ſagt' er — ich freue
»mich aber nicht außerordentlich daruͤber, daß ein
»halbes Loth Schlafkoͤrner eine ganze gluͤhende
»Welt im Menſchen wegbaitzen kann, ganz weg — und
»daß das Umlegen des Koͤrpers der Erdfall ſei¬
»nes Paradieſes und ſeiner Hoͤlle wird.«
Auf der Landſtraße ſprangen zwei Saͤnftentraͤger
in kurzem Gallop zwiſchen den Trageſtangen ihres
ledernen Wuͤrfels dahin. Er ſetzte ihnen nach —
ihre Laſt, dacht' er, muß ihnen noch viel leichter
ſeyn als ein ganzes Land, und deſſen Zepter, die
beide gleichwohl ein Regent wie ein Gauckler den
Degen, tanzend zu tragen verſteht auf der Naſe, auf
den Zaͤhnen, auf allem. Sie trugen aber das
ſchwerſte Ding in der Welt, worunter oft Staͤdte
und Thronen und Welttheile einbrachen.
»Womit ſetzt ihr ſo herum?« fragt er. — »Mit
»unſerem allergnaͤdigſten Herrn! — Januar wars —
es iſt aber den aͤſthetiſchen Kunſtgriffen, womit ein
Autor die Erwartung ſeiner Leſer ſo außerordentlich
anſpannt, ganz gemaͤß, daß ich's nicht eher eroͤfne,
was von Jenner in der ſpringenden Saͤnfte ſaß, als
in dem folgenden Wort.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/241>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.