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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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nehmend, so fein, so liebevoll und liebesehnsüchtig,
daß es mir gar nicht in den Kopf will, warum sie --
einander selbst nicht recht leiden können, -- wenns
nicht etwa darum ist, weil sie gegen einander zu
höflich sind, um sich förmlich auszusöhnen oder förm¬
lich zu entzweien. Ihr Lieben! ihr liebt zuweilen
einen Menschen, weil er einen Freund hat und einer
ist -- o, wie gut würde euch erst eine Freundin
kleiden.


Man lernt Verschwiegenheit am meisten unter
Menschen, die keine haben -- und Plauderhaftigkeit
unter Verschwiegenen.


Wenn Selbstkenntniß der Weg zur Tugend ist:
so ist Tugend noch mehr der Weg zur Selbstkennt¬
niß. Eine gebesserte gereinigte Seele wird von der
kleinsten moralischen Giftart wie gewisse Edelsteine
von jeder andern trübe und jetzt nach der Besserung
merkt sie erst, wie viele Unreinigkeiten sich noch in
allen Winkeln aufhalten.


Ich will mit einigen Regeln der Besserung schlie¬
ßen: Stelle keinem, sobald deine Brust den Seiten¬
stich des Zorns befürchten muß, beredt seine Fehler
vor: denn indem du ihn von seiner Sträflichkeit
überreden willst, so überredest du dich selber davon

nehmend, ſo fein, ſo liebevoll und liebeſehnſuͤchtig,
daß es mir gar nicht in den Kopf will, warum ſie —
einander ſelbſt nicht recht leiden koͤnnen, — wenns
nicht etwa darum iſt, weil ſie gegen einander zu
hoͤflich ſind, um ſich foͤrmlich auszuſoͤhnen oder foͤrm¬
lich zu entzweien. Ihr Lieben! ihr liebt zuweilen
einen Menſchen, weil er einen Freund hat und einer
iſt — o, wie gut wuͤrde euch erſt eine Freundin
kleiden.


Man lernt Verſchwiegenheit am meiſten unter
Menſchen, die keine haben — und Plauderhaftigkeit
unter Verſchwiegenen.


Wenn Selbſtkenntniß der Weg zur Tugend iſt:
ſo iſt Tugend noch mehr der Weg zur Selbſtkennt¬
niß. Eine gebeſſerte gereinigte Seele wird von der
kleinſten moraliſchen Giftart wie gewiſſe Edelſteine
von jeder andern truͤbe und jetzt nach der Beſſerung
merkt ſie erſt, wie viele Unreinigkeiten ſich noch in
allen Winkeln aufhalten.


Ich will mit einigen Regeln der Beſſerung ſchlie¬
ßen: Stelle keinem, ſobald deine Bruſt den Seiten¬
ſtich des Zorns befuͤrchten muß, beredt ſeine Fehler
vor: denn indem du ihn von ſeiner Straͤflichkeit
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[302/0313] nehmend, ſo fein, ſo liebevoll und liebeſehnſuͤchtig, daß es mir gar nicht in den Kopf will, warum ſie — einander ſelbſt nicht recht leiden koͤnnen, — wenns nicht etwa darum iſt, weil ſie gegen einander zu hoͤflich ſind, um ſich foͤrmlich auszuſoͤhnen oder foͤrm¬ lich zu entzweien. Ihr Lieben! ihr liebt zuweilen einen Menſchen, weil er einen Freund hat und einer iſt — o, wie gut wuͤrde euch erſt eine Freundin kleiden. Man lernt Verſchwiegenheit am meiſten unter Menſchen, die keine haben — und Plauderhaftigkeit unter Verſchwiegenen. Wenn Selbſtkenntniß der Weg zur Tugend iſt: ſo iſt Tugend noch mehr der Weg zur Selbſtkennt¬ niß. Eine gebeſſerte gereinigte Seele wird von der kleinſten moraliſchen Giftart wie gewiſſe Edelſteine von jeder andern truͤbe und jetzt nach der Beſſerung merkt ſie erſt, wie viele Unreinigkeiten ſich noch in allen Winkeln aufhalten. Ich will mit einigen Regeln der Beſſerung ſchlie¬ ßen: Stelle keinem, ſobald deine Bruſt den Seiten¬ ſtich des Zorns befuͤrchten muß, beredt ſeine Fehler vor: denn indem du ihn von ſeiner Straͤflichkeit uͤberreden willſt, ſo uͤberredeſt du dich ſelber davon

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/313>, abgerufen am 24.11.2024.