Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

O Ewiger, wenn wir deinen Sternenhimmel nicht
sähen, wie viel wüßte denn unser in den Erdenkoth
untergesunknes Herz von dir und von der Unsterb¬
lichkeit? -- --

Plötzlich wurde in Osten die Nacht lichter, weil
der zerflossene Schimmer des Mondes an den Alpen¬
gebirgen, die ihn bedeckten, heraufschlug -- und auf
einmal wurden die unbekannten Töne lauter und die
Blätter und der Nachtwind: da erwachte Viktor
wie aus einem Traume und Leben und drückte die
harmonischen zerrinnenden Lüfte an die schmachtende
Brust und rief unter den vorquellenden Thränen, die
das ganze Gefilde wie eine Regenwolke einhüllten,
außer sich laut aus: "Ach Emanuel, komme! -- ach
"ich dürste nach dir -- töne nicht mehr, du Seliger,
"nimm dein abgelegtes Menschenangesicht und er¬
"scheine mir und tödte mich durch einen Schauder
"und behalte mich in deinen Armen!" . . .

Siehe! als die dunkle Thränentropfen noch
auf dem Auge lag und der Mond noch hinter
den Alpen verzog: da stieg den Berg herauf eine
weiße Gestalt mit zugeschlossenen Augen -- lächelnd
-- verklärt -- selig -- gegen den Sirius ge¬
wandt -- --

"Emanuel, erscheinst du mir?" rief bebend Ho¬
rion und riß seine Thränen herab. Die Gestalt
schlug ihre Augen auf. Sie breitete ihre Arme aus.

O Ewiger, wenn wir deinen Sternenhimmel nicht
ſaͤhen, wie viel wuͤßte denn unſer in den Erdenkoth
untergeſunknes Herz von dir und von der Unſterb¬
lichkeit? — —

Ploͤtzlich wurde in Oſten die Nacht lichter, weil
der zerfloſſene Schimmer des Mondes an den Alpen¬
gebirgen, die ihn bedeckten, heraufſchlug — und auf
einmal wurden die unbekannten Toͤne lauter und die
Blaͤtter und der Nachtwind: da erwachte Viktor
wie aus einem Traume und Leben und druͤckte die
harmoniſchen zerrinnenden Luͤfte an die ſchmachtende
Bruſt und rief unter den vorquellenden Thraͤnen, die
das ganze Gefilde wie eine Regenwolke einhuͤllten,
außer ſich laut aus: »Ach Emanuel, komme! — ach
»ich duͤrſte nach dir — toͤne nicht mehr, du Seliger,
»nimm dein abgelegtes Menſchenangeſicht und er¬
»ſcheine mir und toͤdte mich durch einen Schauder
»und behalte mich in deinen Armen!« . . .

Siehe! als die dunkle Thraͤnentropfen noch
auf dem Auge lag und der Mond noch hinter
den Alpen verzog: da ſtieg den Berg herauf eine
weiße Geſtalt mit zugeſchloſſenen Augen — laͤchelnd
— verklaͤrt — ſelig — gegen den Sirius ge¬
wandt — —

»Emanuel, erſcheinſt du mir?« rief bebend Ho¬
rion und riß ſeine Thraͤnen herab. Die Geſtalt
ſchlug ihre Augen auf. Sie breitete ihre Arme aus.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0329" n="318"/>
        <p>O Ewiger, wenn wir deinen Sternenhimmel nicht<lb/>
&#x017F;a&#x0364;hen, wie viel wu&#x0364;ßte denn un&#x017F;er in den Erdenkoth<lb/>
unterge&#x017F;unknes Herz von dir und von der Un&#x017F;terb¬<lb/>
lichkeit? &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Plo&#x0364;tzlich wurde in O&#x017F;ten die Nacht lichter, weil<lb/>
der zerflo&#x017F;&#x017F;ene Schimmer des Mondes an den Alpen¬<lb/>
gebirgen, die ihn bedeckten, herauf&#x017F;chlug &#x2014; und auf<lb/>
einmal wurden die unbekannten To&#x0364;ne lauter und die<lb/>
Bla&#x0364;tter und der Nachtwind: da erwachte Viktor<lb/>
wie aus einem Traume und Leben und dru&#x0364;ckte die<lb/>
harmoni&#x017F;chen zerrinnenden Lu&#x0364;fte an die &#x017F;chmachtende<lb/>
Bru&#x017F;t und rief unter den vorquellenden Thra&#x0364;nen, die<lb/>
das ganze Gefilde wie eine Regenwolke einhu&#x0364;llten,<lb/>
außer &#x017F;ich laut aus: »Ach Emanuel, komme! &#x2014; ach<lb/>
»ich du&#x0364;r&#x017F;te nach dir &#x2014; to&#x0364;ne nicht mehr, du Seliger,<lb/>
»nimm dein abgelegtes Men&#x017F;chenange&#x017F;icht und er¬<lb/>
»&#x017F;cheine mir und to&#x0364;dte mich durch einen Schauder<lb/>
»und behalte mich in deinen Armen!« . . .</p><lb/>
        <p>Siehe! als die dunkle Thra&#x0364;nentropfen noch<lb/>
auf dem Auge lag und der Mond noch hinter<lb/>
den Alpen verzog: da &#x017F;tieg den Berg herauf eine<lb/>
weiße Ge&#x017F;talt mit zuge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Augen &#x2014; la&#x0364;chelnd<lb/>
&#x2014; verkla&#x0364;rt &#x2014; &#x017F;elig &#x2014; gegen den Sirius ge¬<lb/>
wandt &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>»Emanuel, er&#x017F;chein&#x017F;t du mir?« rief bebend Ho¬<lb/>
rion und riß &#x017F;eine Thra&#x0364;nen herab. Die Ge&#x017F;talt<lb/>
&#x017F;chlug ihre Augen auf. Sie breitete ihre Arme aus.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0329] O Ewiger, wenn wir deinen Sternenhimmel nicht ſaͤhen, wie viel wuͤßte denn unſer in den Erdenkoth untergeſunknes Herz von dir und von der Unſterb¬ lichkeit? — — Ploͤtzlich wurde in Oſten die Nacht lichter, weil der zerfloſſene Schimmer des Mondes an den Alpen¬ gebirgen, die ihn bedeckten, heraufſchlug — und auf einmal wurden die unbekannten Toͤne lauter und die Blaͤtter und der Nachtwind: da erwachte Viktor wie aus einem Traume und Leben und druͤckte die harmoniſchen zerrinnenden Luͤfte an die ſchmachtende Bruſt und rief unter den vorquellenden Thraͤnen, die das ganze Gefilde wie eine Regenwolke einhuͤllten, außer ſich laut aus: »Ach Emanuel, komme! — ach »ich duͤrſte nach dir — toͤne nicht mehr, du Seliger, »nimm dein abgelegtes Menſchenangeſicht und er¬ »ſcheine mir und toͤdte mich durch einen Schauder »und behalte mich in deinen Armen!« . . . Siehe! als die dunkle Thraͤnentropfen noch auf dem Auge lag und der Mond noch hinter den Alpen verzog: da ſtieg den Berg herauf eine weiße Geſtalt mit zugeſchloſſenen Augen — laͤchelnd — verklaͤrt — ſelig — gegen den Sirius ge¬ wandt — — »Emanuel, erſcheinſt du mir?« rief bebend Ho¬ rion und riß ſeine Thraͤnen herab. Die Geſtalt ſchlug ihre Augen auf. Sie breitete ihre Arme aus.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/329
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/329>, abgerufen am 24.11.2024.