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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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mal die Namen von Göttingen, von Flachsenfingen,
oder leere Lebensdata oder fremde Personalien nen¬
nen wollte. Viktor hatte überhaupt eine kleine Ver¬
achtung für die Menschen, denen die Nachricht an
den Buchbinder lieber ist als das Buch und die
Biographie eines Autors lieber als sein System,
für die die Erde keine Entzifferungskanzlei des
Buchs der Natur, sondern ein Sprachzimmer, ein
Zeitungskomptoir elender Personalien ist, die sie we¬
der benutzen noch behalten noch beurtheilen sondern
nur erzählen wollen; und es ekelten ihn die deut¬
schen Gesellschaften, in denen man so wenig philoso¬
phirt. -- O wie selig war er, einmal einen ganzen
Tag mit einem andern philosophiren und was noch
schöner ist, zugleich poetisiren zu dürfen!

Seine Zweifel über das Größte, was unsern
Kopf erdrücken und unser Herz erheben kann, wur¬
den heute zu Fragen -- die Fragen zu Hofnungen
-- die Hofnungen zu Ahndungen -- Es giebt Wahr¬
heiten, von denen man hoft, große Menschen wer¬
den stärker von ihnen überzeugt seyn als man es sel¬
ber seyn kann; und man will daher durch ihre Ue¬
berzeugung die seinige ergänzen. Dahore hielt die
zwei großen Wahrheiten (Gott und Unsterblichkeit,)
die wie zwei Säulen das Universum tragen, fest an
seinem Herzen; aber er fragte wie die seltnern Men¬
schen, denen die Wahrheit nicht das Schaugericht

mal die Namen von Goͤttingen, von Flachſenfingen,
oder leere Lebensdata oder fremde Perſonalien nen¬
nen wollte. Viktor hatte uͤberhaupt eine kleine Ver¬
achtung fuͤr die Menſchen, denen die Nachricht an
den Buchbinder lieber iſt als das Buch und die
Biographie eines Autors lieber als ſein Syſtem,
fuͤr die die Erde keine Entzifferungskanzlei des
Buchs der Natur, ſondern ein Sprachzimmer, ein
Zeitungskomptoir elender Perſonalien iſt, die ſie we¬
der benutzen noch behalten noch beurtheilen ſondern
nur erzaͤhlen wollen; und es ekelten ihn die deut¬
ſchen Geſellſchaften, in denen man ſo wenig philoſo¬
phirt. — O wie ſelig war er, einmal einen ganzen
Tag mit einem andern philoſophiren und was noch
ſchoͤner iſt, zugleich poetiſiren zu duͤrfen!

Seine Zweifel uͤber das Groͤßte, was unſern
Kopf erdruͤcken und unſer Herz erheben kann, wur¬
den heute zu Fragen — die Fragen zu Hofnungen
— die Hofnungen zu Ahndungen — Es giebt Wahr¬
heiten, von denen man hoft, große Menſchen wer¬
den ſtaͤrker von ihnen uͤberzeugt ſeyn als man es ſel¬
ber ſeyn kann; und man will daher durch ihre Ue¬
berzeugung die ſeinige ergaͤnzen. Dahore hielt die
zwei großen Wahrheiten (Gott und Unſterblichkeit,)
die wie zwei Saͤulen das Univerſum tragen, feſt an
ſeinem Herzen; aber er fragte wie die ſeltnern Men¬
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[328/0339] mal die Namen von Goͤttingen, von Flachſenfingen, oder leere Lebensdata oder fremde Perſonalien nen¬ nen wollte. Viktor hatte uͤberhaupt eine kleine Ver¬ achtung fuͤr die Menſchen, denen die Nachricht an den Buchbinder lieber iſt als das Buch und die Biographie eines Autors lieber als ſein Syſtem, fuͤr die die Erde keine Entzifferungskanzlei des Buchs der Natur, ſondern ein Sprachzimmer, ein Zeitungskomptoir elender Perſonalien iſt, die ſie we¬ der benutzen noch behalten noch beurtheilen ſondern nur erzaͤhlen wollen; und es ekelten ihn die deut¬ ſchen Geſellſchaften, in denen man ſo wenig philoſo¬ phirt. — O wie ſelig war er, einmal einen ganzen Tag mit einem andern philoſophiren und was noch ſchoͤner iſt, zugleich poetiſiren zu duͤrfen! Seine Zweifel uͤber das Groͤßte, was unſern Kopf erdruͤcken und unſer Herz erheben kann, wur¬ den heute zu Fragen — die Fragen zu Hofnungen — die Hofnungen zu Ahndungen — Es giebt Wahr¬ heiten, von denen man hoft, große Menſchen wer¬ den ſtaͤrker von ihnen uͤberzeugt ſeyn als man es ſel¬ ber ſeyn kann; und man will daher durch ihre Ue¬ berzeugung die ſeinige ergaͤnzen. Dahore hielt die zwei großen Wahrheiten (Gott und Unſterblichkeit,) die wie zwei Saͤulen das Univerſum tragen, feſt an ſeinem Herzen; aber er fragte wie die ſeltnern Men¬ ſchen, denen die Wahrheit nicht das Schaugericht

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/339>, abgerufen am 24.11.2024.