Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

stand schon draussen und überdekte alle Gemächer un¬
sers Vatikans mit seinen Gemälden. Ich hab' einen
Nebel lieb, sobald er wie ein Schleier vom Ange¬
sicht eines schönen Tages abgleitet und sobald ihn
größere als die vier Fakultäten machen. Wenn
er (der am 1. Mai war so) wie ein Zugnez Gipfel
und Bäche überflicht -- wenn die herabgedrükten
Wolken auf unsern Auen und durch nasse Stauden
kriechen -- wenn er auf der einen Weltgegend den
Himmel mit einem Pech-Brodem besudelt und den
Wald mit einer unreinen schweren Nebelbank be¬
streift, indeß er auf den andern, abgewischt vom
nassen Saphyr des Himmels, in Tropfen verkleinert
die Blumen erleuchtet; und wenn dieser blaue Glanz
und jene schmuzige Nacht nahe an einander vorüber¬
ziehen und die Plätze tauschen: wem ist alsdann
nicht als säh er Länder und Völker vor sich liegen,
auf denen giftige und stinkende Nebel in Gruppen
herumziehen, die bald kommen, bald gehen? -- Und
wenn ferner diese weiße Nacht mein schwermüthiges
Auge mit dahin fliegenden Dunstströmen, mit irren¬
den zitternden Duftstäubgen umzingelt: so erblick' ich
trübe in dem Dunst das Menschenleben abgefärbt,
mit seinen zwei großen Wolken an unserm Auf- und
Untergange, mit seinem scheinbar lichten Raume um
uns, mit seiner blauen Mündung über uns. . . .

ſtand ſchon drauſſen und uͤberdekte alle Gemaͤcher un¬
ſers Vatikans mit ſeinen Gemaͤlden. Ich hab' einen
Nebel lieb, ſobald er wie ein Schleier vom Ange¬
ſicht eines ſchoͤnen Tages abgleitet und ſobald ihn
groͤßere als die vier Fakultaͤten machen. Wenn
er (der am 1. Mai war ſo) wie ein Zugnez Gipfel
und Baͤche uͤberflicht — wenn die herabgedruͤkten
Wolken auf unſern Auen und durch naſſe Stauden
kriechen — wenn er auf der einen Weltgegend den
Himmel mit einem Pech-Brodem beſudelt und den
Wald mit einer unreinen ſchweren Nebelbank be¬
ſtreift, indeß er auf den andern, abgewiſcht vom
naſſen Saphyr des Himmels, in Tropfen verkleinert
die Blumen erleuchtet; und wenn dieſer blaue Glanz
und jene ſchmuzige Nacht nahe an einander voruͤber¬
ziehen und die Plaͤtze tauſchen: wem iſt alsdann
nicht als ſaͤh er Laͤnder und Voͤlker vor ſich liegen,
auf denen giftige und ſtinkende Nebel in Gruppen
herumziehen, die bald kommen, bald gehen? — Und
wenn ferner dieſe weiße Nacht mein ſchwermuͤthiges
Auge mit dahin fliegenden Dunſtſtroͤmen, mit irren¬
den zitternden Duftſtaͤubgen umzingelt: ſo erblick' ich
truͤbe in dem Dunſt das Menſchenleben abgefaͤrbt,
mit ſeinen zwei großen Wolken an unſerm Auf- und
Untergange, mit ſeinem ſcheinbar lichten Raume um
uns, mit ſeiner blauen Muͤndung uͤber uns. . . .

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="25"/>
&#x017F;tand &#x017F;chon drau&#x017F;&#x017F;en und u&#x0364;berdekte alle Gema&#x0364;cher un¬<lb/>
&#x017F;ers Vatikans mit &#x017F;einen Gema&#x0364;lden. Ich hab' einen<lb/>
Nebel lieb, &#x017F;obald er wie ein Schleier vom Ange¬<lb/>
&#x017F;icht eines &#x017F;cho&#x0364;nen Tages abgleitet und &#x017F;obald ihn<lb/>
gro&#x0364;ßere als die vier <hi rendition="#g">Fakulta&#x0364;ten</hi> machen. Wenn<lb/>
er (der am 1. Mai war &#x017F;o) wie ein Zugnez Gipfel<lb/>
und Ba&#x0364;che u&#x0364;berflicht &#x2014; wenn die herabgedru&#x0364;kten<lb/>
Wolken auf un&#x017F;ern Auen und durch na&#x017F;&#x017F;e Stauden<lb/>
kriechen &#x2014; wenn er auf der <hi rendition="#g">einen</hi> Weltgegend den<lb/>
Himmel mit einem Pech-Brodem be&#x017F;udelt und den<lb/>
Wald mit einer unreinen &#x017F;chweren Nebelbank be¬<lb/>
&#x017F;treift, indeß er auf den <hi rendition="#g">andern</hi>, abgewi&#x017F;cht vom<lb/>
na&#x017F;&#x017F;en Saphyr des Himmels, in Tropfen verkleinert<lb/>
die Blumen erleuchtet; und wenn die&#x017F;er blaue Glanz<lb/>
und jene &#x017F;chmuzige Nacht nahe an einander voru&#x0364;ber¬<lb/>
ziehen und die Pla&#x0364;tze tau&#x017F;chen: wem i&#x017F;t alsdann<lb/>
nicht als &#x017F;a&#x0364;h er La&#x0364;nder und Vo&#x0364;lker vor &#x017F;ich liegen,<lb/>
auf denen giftige und &#x017F;tinkende Nebel in Gruppen<lb/>
herumziehen, die bald kommen, bald gehen? &#x2014; Und<lb/>
wenn ferner die&#x017F;e weiße Nacht mein &#x017F;chwermu&#x0364;thiges<lb/>
Auge mit dahin fliegenden Dun&#x017F;t&#x017F;tro&#x0364;men, mit irren¬<lb/>
den zitternden Duft&#x017F;ta&#x0364;ubgen umzingelt: &#x017F;o erblick' ich<lb/>
tru&#x0364;be in dem Dun&#x017F;t das Men&#x017F;chenleben abgefa&#x0364;rbt,<lb/>
mit &#x017F;einen zwei großen Wolken an un&#x017F;erm Auf- und<lb/>
Untergange, mit &#x017F;einem &#x017F;cheinbar lichten Raume um<lb/>
uns, mit &#x017F;einer blauen Mu&#x0364;ndung u&#x0364;ber uns. . . .</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0036] ſtand ſchon drauſſen und uͤberdekte alle Gemaͤcher un¬ ſers Vatikans mit ſeinen Gemaͤlden. Ich hab' einen Nebel lieb, ſobald er wie ein Schleier vom Ange¬ ſicht eines ſchoͤnen Tages abgleitet und ſobald ihn groͤßere als die vier Fakultaͤten machen. Wenn er (der am 1. Mai war ſo) wie ein Zugnez Gipfel und Baͤche uͤberflicht — wenn die herabgedruͤkten Wolken auf unſern Auen und durch naſſe Stauden kriechen — wenn er auf der einen Weltgegend den Himmel mit einem Pech-Brodem beſudelt und den Wald mit einer unreinen ſchweren Nebelbank be¬ ſtreift, indeß er auf den andern, abgewiſcht vom naſſen Saphyr des Himmels, in Tropfen verkleinert die Blumen erleuchtet; und wenn dieſer blaue Glanz und jene ſchmuzige Nacht nahe an einander voruͤber¬ ziehen und die Plaͤtze tauſchen: wem iſt alsdann nicht als ſaͤh er Laͤnder und Voͤlker vor ſich liegen, auf denen giftige und ſtinkende Nebel in Gruppen herumziehen, die bald kommen, bald gehen? — Und wenn ferner dieſe weiße Nacht mein ſchwermuͤthiges Auge mit dahin fliegenden Dunſtſtroͤmen, mit irren¬ den zitternden Duftſtaͤubgen umzingelt: ſo erblick' ich truͤbe in dem Dunſt das Menſchenleben abgefaͤrbt, mit ſeinen zwei großen Wolken an unſerm Auf- und Untergange, mit ſeinem ſcheinbar lichten Raume um uns, mit ſeiner blauen Muͤndung uͤber uns. . . .

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/36
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/36>, abgerufen am 21.11.2024.