Geschlecht eigne auf Unschuld regierte, -- und ihre Nase, die zu viel Besonnenheit verrieth, seinen neuen Adam wieder auf die Beine, auf den sich schon der alte gesetzt hatte. Er prieß sich glücklich, daß er Flamins Freund sey und mithin auf ihre Aufmerk¬ samkeit und ihren Umgang einige Rechte habe. -- Gleichwohl war ihm noch immer als wenn alles was sie thäte, zum erstemmale in der Welt geschähe und er gab auf sie Acht wie auf einen operirten Blind¬ gebohrnen oder auf einen Omai oder einen Li-Bu: er dachte immer "wie sollt' ihr wohl das Sitzen "lassen -- oder das Präsentiren eines Fruchttellers "-- oder das Essen einer Kirsche -- oder das Nie¬ "dersehen in ein Briefgen." Ich bin noch ein är¬ gerer Narr neben der besagten Hofdame.
Endlich kam in den Garten Le Baut nach der er¬ sten Toilette und seine Frau nach der zweiten. Der Kammerherr -- ein kurzes, biegsames, geschnürtes Ding, das vor dem Teufel in der Hölle den Hut abziehen wird, wenns hineintritt -- empfing den Sohn seines Erbfeindes ungemein verbindlich und doch mit Würde, zu der ihm aber nicht sein Herz sondern sein Stand die Kräfte gab: Viktor hegte, eben weil er sich ihn beleidigt dachte, zuvorkommen¬ des Wohlwollen für ihn. Obgleich Le Bauts Zunge fast wie seine Zähne falsch und eingesetzt waren, und mithin die aus Zahn- und Zungenbuchstaben kompo¬
Geſchlecht eigne auf Unſchuld regierte, — und ihre Naſe, die zu viel Beſonnenheit verrieth, ſeinen neuen Adam wieder auf die Beine, auf den ſich ſchon der alte geſetzt hatte. Er prieß ſich gluͤcklich, daß er Flamins Freund ſey und mithin auf ihre Aufmerk¬ ſamkeit und ihren Umgang einige Rechte habe. — Gleichwohl war ihm noch immer als wenn alles was ſie thaͤte, zum erſtemmale in der Welt geſchaͤhe und er gab auf ſie Acht wie auf einen operirten Blind¬ gebohrnen oder auf einen Omai oder einen Li-Bu: er dachte immer »wie ſollt' ihr wohl das Sitzen »laſſen — oder das Praͤſentiren eines Fruchttellers »— oder das Eſſen einer Kirſche — oder das Nie¬ »derſehen in ein Briefgen.« Ich bin noch ein aͤr¬ gerer Narr neben der beſagten Hofdame.
Endlich kam in den Garten Le Baut nach der er¬ ſten Toilette und ſeine Frau nach der zweiten. Der Kammerherr — ein kurzes, biegſames, geſchnuͤrtes Ding, das vor dem Teufel in der Hoͤlle den Hut abziehen wird, wenns hineintritt — empfing den Sohn ſeines Erbfeindes ungemein verbindlich und doch mit Wuͤrde, zu der ihm aber nicht ſein Herz ſondern ſein Stand die Kraͤfte gab: Viktor hegte, eben weil er ſich ihn beleidigt dachte, zuvorkommen¬ des Wohlwollen fuͤr ihn. Obgleich Le Bauts Zunge faſt wie ſeine Zaͤhne falſch und eingeſetzt waren, und mithin die aus Zahn- und Zungenbuchſtaben kompo¬
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Geſchlecht eigne auf Unſchuld regierte, — und ihre
Naſe, die zu viel Beſonnenheit verrieth, ſeinen neuen
Adam wieder auf die Beine, auf den ſich ſchon der
alte geſetzt hatte. Er prieß ſich gluͤcklich, daß er
Flamins Freund ſey und mithin auf ihre Aufmerk¬
ſamkeit und ihren Umgang einige Rechte habe. —
Gleichwohl war ihm noch immer als wenn alles was
ſie thaͤte, zum erſtemmale in der Welt geſchaͤhe und
er gab auf ſie Acht wie auf einen operirten Blind¬
gebohrnen oder auf einen Omai oder einen Li-Bu:
er dachte immer »wie ſollt' ihr wohl das Sitzen
»laſſen — oder das Praͤſentiren eines Fruchttellers
»— oder das Eſſen einer Kirſche — oder das Nie¬
»derſehen in ein Briefgen.« Ich bin noch ein aͤr¬
gerer Narr neben der beſagten Hofdame.
Endlich kam in den Garten Le Baut nach der er¬
ſten Toilette und ſeine Frau nach der zweiten. Der
Kammerherr — ein kurzes, biegſames, geſchnuͤrtes
Ding, das vor dem Teufel in der Hoͤlle den Hut
abziehen wird, wenns hineintritt — empfing den
Sohn ſeines Erbfeindes ungemein verbindlich und
doch mit Wuͤrde, zu der ihm aber nicht ſein Herz
ſondern ſein Stand die Kraͤfte gab: Viktor hegte,
eben weil er ſich ihn beleidigt dachte, zuvorkommen¬
des Wohlwollen fuͤr ihn. Obgleich Le Bauts Zunge
faſt wie ſeine Zaͤhne falſch und eingeſetzt waren, und
mithin die aus Zahn- und Zungenbuchſtaben kompo¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/99>, abgerufen am 05.12.2024.
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