Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

"Es war ein anderes aus ihrem Stammbuche"
sagt' er --

"Noch schlimmer, das wußt' ich nicht einmal --
"Dein Zögern in St. Lüne und tausend andre Zü¬
"ge, die mir nicht sogleich einfallen, dein heutiges
"Alleingehen." --

"O mein Flamin, das geht weit, du siehst mit
"einem andern Auge als dem der Freundschaft" --

Hier wurde Flamin, der sich in nichts verstellen
konnte ohne es sogleich zu werden und der keine
Beleidigung erzählen konnte ohne in den alten Zorn
zu gerathen, wärmer und sagte weniger freundlich:
"es sehens schon andre auch, sogar der Kammerherr
"und die Kammerherrin."

Dieses zerriß Viktor das Herz: "Du Theurer,
"alter Jugendfreund, so sollen wir also auseinander
"gezogen und gerissen werden, wir mögen noch so
"sehr bluten; es soll also diesem Matthieu gelin¬
"gen (denn von dem kömmt alles, nicht von dir, du
"Guter,) daß du mich marterst und daß ich dich mar¬
"tere -- Nein, es soll ihm nicht gelingen -- Du
"sollst nicht von mir genommen werden -- siehe bei
"Gott (und hier stand in Viktor das Gefühl seiner
"Unschuld erhaben auf) und wenn du mich Jahre
"lang verkennst, so kömmt doch die Zeit, wo du er¬
"schrickst und zu mir sagst: ich habe dir Unrecht ge¬
"than! -- Aber ich werde dir gern vergeben."

»Es war ein anderes aus ihrem Stammbuche«
ſagt' er —

»Noch ſchlimmer, das wußt' ich nicht einmal —
»Dein Zoͤgern in St. Luͤne und tauſend andre Zuͤ¬
»ge, die mir nicht ſogleich einfallen, dein heutiges
»Alleingehen.« —

»O mein Flamin, das geht weit, du ſiehſt mit
»einem andern Auge als dem der Freundſchaft« —

Hier wurde Flamin, der ſich in nichts verſtellen
konnte ohne es ſogleich zu werden und der keine
Beleidigung erzaͤhlen konnte ohne in den alten Zorn
zu gerathen, waͤrmer und ſagte weniger freundlich:
»es ſehens ſchon andre auch, ſogar der Kammerherr
»und die Kammerherrin.«

Dieſes zerriß Viktor das Herz: »Du Theurer,
»alter Jugendfreund, ſo ſollen wir alſo auseinander
»gezogen und geriſſen werden, wir moͤgen noch ſo
»ſehr bluten; es ſoll alſo dieſem Matthieu gelin¬
»gen (denn von dem koͤmmt alles, nicht von dir, du
»Guter,) daß du mich marterſt und daß ich dich mar¬
»tere — Nein, es ſoll ihm nicht gelingen — Du
»ſollſt nicht von mir genommen werden — ſiehe bei
»Gott (und hier ſtand in Viktor das Gefuͤhl ſeiner
»Unſchuld erhaben auf) und wenn du mich Jahre
»lang verkennſt, ſo koͤmmt doch die Zeit, wo du er¬
»ſchrickſt und zu mir ſagſt: ich habe dir Unrecht ge¬
»than! — Aber ich werde dir gern vergeben.«

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0100" n="90"/>
            <p>»Es war ein anderes aus ihrem Stammbuche«<lb/>
&#x017F;agt' er &#x2014;</p><lb/>
            <p>»Noch &#x017F;chlimmer, das wußt' ich nicht einmal &#x2014;<lb/>
»Dein Zo&#x0364;gern in St. Lu&#x0364;ne und tau&#x017F;end andre Zu&#x0364;¬<lb/>
»ge, die mir nicht &#x017F;ogleich einfallen, dein heutiges<lb/>
»Alleingehen.« &#x2014;</p><lb/>
            <p>»O mein Flamin, das geht weit, du &#x017F;ieh&#x017F;t mit<lb/>
»einem andern Auge als dem der Freund&#x017F;chaft« &#x2014;</p><lb/>
            <p>Hier wurde Flamin, der &#x017F;ich in nichts ver&#x017F;tellen<lb/>
konnte ohne es &#x017F;ogleich zu werden und der keine<lb/>
Beleidigung erza&#x0364;hlen konnte ohne in den alten Zorn<lb/>
zu gerathen, wa&#x0364;rmer und &#x017F;agte weniger freundlich:<lb/>
»es &#x017F;ehens &#x017F;chon andre auch, &#x017F;ogar der Kammerherr<lb/>
»und die Kammerherrin.«</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;es zerriß Viktor das Herz: »Du Theurer,<lb/>
»alter Jugendfreund, &#x017F;o &#x017F;ollen wir al&#x017F;o auseinander<lb/>
»gezogen und geri&#x017F;&#x017F;en werden, wir mo&#x0364;gen noch &#x017F;o<lb/>
»&#x017F;ehr bluten; es &#x017F;oll al&#x017F;o die&#x017F;em <hi rendition="#g">Matthieu</hi> gelin¬<lb/>
»gen (denn von dem ko&#x0364;mmt alles, nicht von dir, du<lb/>
»Guter,) daß du mich marter&#x017F;t und daß ich dich mar¬<lb/>
»tere &#x2014; Nein, es &#x017F;oll ihm nicht gelingen &#x2014; Du<lb/>
»&#x017F;oll&#x017F;t nicht von mir genommen werden &#x2014; &#x017F;iehe bei<lb/>
»Gott (und hier &#x017F;tand in Viktor das Gefu&#x0364;hl &#x017F;einer<lb/>
»Un&#x017F;chuld erhaben auf) und wenn du mich Jahre<lb/>
»lang verkenn&#x017F;t, &#x017F;o ko&#x0364;mmt doch die Zeit, wo du er¬<lb/>
»&#x017F;chrick&#x017F;t und zu mir &#x017F;ag&#x017F;t: ich habe dir Unrecht ge¬<lb/>
»than! &#x2014; Aber ich werde dir gern vergeben.«</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0100] »Es war ein anderes aus ihrem Stammbuche« ſagt' er — »Noch ſchlimmer, das wußt' ich nicht einmal — »Dein Zoͤgern in St. Luͤne und tauſend andre Zuͤ¬ »ge, die mir nicht ſogleich einfallen, dein heutiges »Alleingehen.« — »O mein Flamin, das geht weit, du ſiehſt mit »einem andern Auge als dem der Freundſchaft« — Hier wurde Flamin, der ſich in nichts verſtellen konnte ohne es ſogleich zu werden und der keine Beleidigung erzaͤhlen konnte ohne in den alten Zorn zu gerathen, waͤrmer und ſagte weniger freundlich: »es ſehens ſchon andre auch, ſogar der Kammerherr »und die Kammerherrin.« Dieſes zerriß Viktor das Herz: »Du Theurer, »alter Jugendfreund, ſo ſollen wir alſo auseinander »gezogen und geriſſen werden, wir moͤgen noch ſo »ſehr bluten; es ſoll alſo dieſem Matthieu gelin¬ »gen (denn von dem koͤmmt alles, nicht von dir, du »Guter,) daß du mich marterſt und daß ich dich mar¬ »tere — Nein, es ſoll ihm nicht gelingen — Du »ſollſt nicht von mir genommen werden — ſiehe bei »Gott (und hier ſtand in Viktor das Gefuͤhl ſeiner »Unſchuld erhaben auf) und wenn du mich Jahre »lang verkennſt, ſo koͤmmt doch die Zeit, wo du er¬ »ſchrickſt und zu mir ſagſt: ich habe dir Unrecht ge¬ »than! — Aber ich werde dir gern vergeben.«

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/100
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/100>, abgerufen am 21.11.2024.