nen und sagen, nichts gehöre ihnen -- umgekehrt je¬ des Depositum zu einem Eigenthum erheben und sa¬ gen alles gehöre ihnen. Aber er machte sich nichts daraus: "ich komme ja nur zum Spasse, (dacht' er) "und mir ist nichts anzuhaben." Der Minister, dem er bloß über der Tafel begegnete, hatte gegen ihn alle die Höflichkeit, die mit einem persiflirenden Gesicht und mit einem die Welt in Spionen und in Diebe eintheilenden Stande zu verbinden ist; aber Sebastian merkte doch, daß er ihn für einen Igno¬ ranten in der Medizin und in den ernsthaften Kent¬ nissen -- als wären nicht alle Studien ernsthaft -- ansehe und für einen Eingeweihten bloß im Witz und schönen Wissen. Viktor war zu stolz, ihm eine andere als die leere Neumondsseite zuzukehren und verbarg alles, was ihn bekehren konnte. Daher mußte sich Viktor bei dem dümmsten Kanzleiverwand¬ ten der's gesehen hätte, dadurch um alle Achtung bringen, daß er, wenn der Minister mit seinem Bru¬ der, dem Regierungspräsidenten, ein interessantes Gespräch über Auflagen, Bündnisse, über die Kam¬ mer anspann, entweder nicht aufmerkte oder fortlief oder die Weiber aufsuchte? -- Auch liebte Viktor am Fürsten nur den Menschen; der Minister nur den Fürsten. Viktor konnte bei Jenner selber über die Vorzüge der Republiken Reden halten und dieser hätte oft im Enthusiasmus (wenn die Reichsgerichte
nen und ſagen, nichts gehoͤre ihnen — umgekehrt je¬ des Depoſitum zu einem Eigenthum erheben und ſa¬ gen alles gehoͤre ihnen. Aber er machte ſich nichts daraus: »ich komme ja nur zum Spaſſe, (dacht' er) »und mir iſt nichts anzuhaben.« Der Miniſter, dem er bloß uͤber der Tafel begegnete, hatte gegen ihn alle die Hoͤflichkeit, die mit einem perſiflirenden Geſicht und mit einem die Welt in Spionen und in Diebe eintheilenden Stande zu verbinden iſt; aber Sebaſtian merkte doch, daß er ihn fuͤr einen Igno¬ ranten in der Medizin und in den ernſthaften Kent¬ niſſen — als waͤren nicht alle Studien ernſthaft — anſehe und fuͤr einen Eingeweihten bloß im Witz und ſchoͤnen Wiſſen. Viktor war zu ſtolz, ihm eine andere als die leere Neumondsſeite zuzukehren und verbarg alles, was ihn bekehren konnte. Daher mußte ſich Viktor bei dem duͤmmſten Kanzleiverwand¬ ten der's geſehen haͤtte, dadurch um alle Achtung bringen, daß er, wenn der Miniſter mit ſeinem Bru¬ der, dem Regierungspraͤſidenten, ein intereſſantes Geſpraͤch uͤber Auflagen, Buͤndniſſe, uͤber die Kam¬ mer anſpann, entweder nicht aufmerkte oder fortlief oder die Weiber aufſuchte? — Auch liebte Viktor am Fuͤrſten nur den Menſchen; der Miniſter nur den Fuͤrſten. Viktor konnte bei Jenner ſelber uͤber die Vorzuͤge der Republiken Reden halten und dieſer haͤtte oft im Enthuſiasmus (wenn die Reichsgerichte
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nen und ſagen, nichts gehoͤre ihnen — umgekehrt je¬
des Depoſitum zu einem Eigenthum erheben und ſa¬
gen alles gehoͤre ihnen. Aber er machte ſich nichts
daraus: »ich komme ja nur zum Spaſſe, (dacht' er)
»und mir iſt nichts anzuhaben.« Der Miniſter,
dem er bloß uͤber der Tafel begegnete, hatte gegen
ihn alle die Hoͤflichkeit, die mit einem perſiflirenden
Geſicht und mit einem die Welt in Spionen und in
Diebe eintheilenden Stande zu verbinden iſt; aber
Sebaſtian merkte doch, daß er ihn fuͤr einen Igno¬
ranten in der Medizin und in den ernſthaften Kent¬
niſſen — als waͤren nicht alle Studien ernſthaft —
anſehe und fuͤr einen Eingeweihten bloß im Witz
und ſchoͤnen Wiſſen. Viktor war zu ſtolz, ihm eine
andere als die leere Neumondsſeite zuzukehren und
verbarg alles, was ihn bekehren konnte. Daher
mußte ſich Viktor bei dem duͤmmſten Kanzleiverwand¬
ten der's geſehen haͤtte, dadurch um alle Achtung
bringen, daß er, wenn der Miniſter mit ſeinem Bru¬
der, dem Regierungspraͤſidenten, ein intereſſantes
Geſpraͤch uͤber Auflagen, Buͤndniſſe, uͤber die Kam¬
mer anſpann, entweder nicht aufmerkte oder fortlief
oder die Weiber aufſuchte? — Auch liebte Viktor
am Fuͤrſten nur den Menſchen; der Miniſter nur den
Fuͤrſten. Viktor konnte bei Jenner ſelber uͤber die
Vorzuͤge der Republiken Reden halten und dieſer
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/166>, abgerufen am 21.11.2024.
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