lichen Menschen -- sogar als Spott hätt' ihr so viel Liebe wohlgethan -- dann krystallisirten sich ihre vergangnen Blumen noch einmal im Fenster-Eis ih¬ res jetzigen Winters -- dann war ihr als würde sie heute erst unglücklich -- Am Morgen schwieg sie ge¬ gen alle und war bloß diensteifriger gegen Sebastian, aber nicht muthiger: nur zuweilen fiel sie drunten dem Provisor, wenn er ihn lobte, mit den Worten aber ohne weitere Erklärung bei: man sollte sein ei¬ gnes Herz in kleine Stückgen zerschneiden und hinge¬ ben für den engländischen Herrn."
Arme Marie! sagt mein eignes Inneres dem Doktor nach; und setzet noch dazu: vielleicht liest mich jetzt gerade eine eben so Unglückliche, ein eben so Unglücklicher. Und mir ist als müßt' ich ihnen, da ich die Trauerglocken ihrer vergangnen trüben Stunden angezogen, auch ein Wort des Trostes schreiben. Ich weiß aber für den, der immer über neue gaffende Eisspalten des Lebens schreiten muß, kein Mittel als meines: wirf sogleich, wenns arg wird, alle mögliche Hofnungen zum Henker und ziehe dich resignirend in dein Ich zurück und frage: wie nun, wenn's Schlimmste auch gar käme, was wär's denn? Söhne deine Phantasie nie mit dem nächsten Unglück aus, sondern mit dem größten. Nichts löset mehr den Muth auf als die warmen mit kalter Angst abwechselnden Hofnungen. -- Ist
lichen Menſchen — ſogar als Spott haͤtt' ihr ſo viel Liebe wohlgethan — dann kryſtalliſirten ſich ihre vergangnen Blumen noch einmal im Fenſter-Eis ih¬ res jetzigen Winters — dann war ihr als wuͤrde ſie heute erſt ungluͤcklich — Am Morgen ſchwieg ſie ge¬ gen alle und war bloß dienſteifriger gegen Sebaſtian, aber nicht muthiger: nur zuweilen fiel ſie drunten dem Proviſor, wenn er ihn lobte, mit den Worten aber ohne weitere Erklaͤrung bei: man ſollte ſein ei¬ gnes Herz in kleine Stuͤckgen zerſchneiden und hinge¬ ben fuͤr den englaͤndiſchen Herrn.«
Arme Marie! ſagt mein eignes Inneres dem Doktor nach; und ſetzet noch dazu: vielleicht lieſt mich jetzt gerade eine eben ſo Ungluͤckliche, ein eben ſo Ungluͤcklicher. Und mir iſt als muͤßt' ich ihnen, da ich die Trauerglocken ihrer vergangnen truͤben Stunden angezogen, auch ein Wort des Troſtes ſchreiben. Ich weiß aber fuͤr den, der immer uͤber neue gaffende Eisſpalten des Lebens ſchreiten muß, kein Mittel als meines: wirf ſogleich, wenns arg wird, alle moͤgliche Hofnungen zum Henker und ziehe dich reſignirend in dein Ich zuruͤck und frage: wie nun, wenn's Schlimmſte auch gar kaͤme, was waͤr's denn? Soͤhne deine Phantaſie nie mit dem naͤchſten Ungluͤck aus, ſondern mit dem groͤßten. Nichts loͤſet mehr den Muth auf als die warmen mit kalter Angſt abwechſelnden Hofnungen. — Iſt
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lichen Menſchen — ſogar als Spott haͤtt' ihr ſo
viel Liebe wohlgethan — dann kryſtalliſirten ſich ihre
vergangnen Blumen noch einmal im Fenſter-Eis ih¬
res jetzigen Winters — dann war ihr als wuͤrde ſie
heute erſt ungluͤcklich — Am Morgen ſchwieg ſie ge¬
gen alle und war bloß dienſteifriger gegen Sebaſtian,
aber nicht muthiger: nur zuweilen fiel ſie drunten
dem Proviſor, wenn er ihn lobte, mit den Worten
aber ohne weitere Erklaͤrung bei: man ſollte ſein ei¬
gnes Herz in kleine Stuͤckgen zerſchneiden und hinge¬
ben fuͤr den englaͤndiſchen Herrn.«
Arme Marie! ſagt mein eignes Inneres dem
Doktor nach; und ſetzet noch dazu: vielleicht lieſt
mich jetzt gerade eine eben ſo Ungluͤckliche, ein eben
ſo Ungluͤcklicher. Und mir iſt als muͤßt' ich ihnen,
da ich die Trauerglocken ihrer vergangnen truͤben
Stunden angezogen, auch ein Wort des Troſtes
ſchreiben. Ich weiß aber fuͤr den, der immer uͤber
neue gaffende Eisſpalten des Lebens ſchreiten muß,
kein Mittel als meines: wirf ſogleich, wenns arg
wird, alle moͤgliche Hofnungen zum Henker und
ziehe dich reſignirend in dein Ich zuruͤck und frage:
wie nun, wenn's Schlimmſte auch gar kaͤme, was
waͤr's denn? Soͤhne deine Phantaſie nie mit dem
naͤchſten Ungluͤck aus, ſondern mit dem groͤßten.
Nichts loͤſet mehr den Muth auf als die warmen
mit kalter Angſt abwechſelnden Hofnungen. — Iſt
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/182>, abgerufen am 21.11.2024.
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