"lasse, denn er ist ohne mich nicht raffinirt genug "dazu." Denn er hält überhaupt den Helden der Hundsposttage -- der's auch gerne litt -- ein wenig für dumm, blos weil Viktor gutmüthig, humoristisch und gegen alle Menschen vertraulich war. In der That gab diesem das Leben in der großen Welt, zwar geistige und körperliche Gewadtheit und Frey¬ heit, wenigstens größere; aber eine gewisse äußere Würde, die er an seinem Vater, am Minister und sogar oft an Matthieu sah, konnt' er niemals nach¬ kopieren: er war zufrieden, daß er eine höhere Wür¬ de in seiner Seele hatte und fand es zu lächerlich, auf der Erde ernsthaft zu seyn, und zu klein, stolz auszusehen. Vielleicht konnten sich Viktor und Schleunes darum nicht leiden: ein Mensch von Talenten und ein Bürger von Talenten hassen ein¬ ander gegenseitig.
Eh' ich dem Apotheker erlaube, alle Fäden des Schleunesschen Kanker-Gespinstes vorzuzeichnen: will ich nur erklären, warum Zeusel hierüber so all¬ wissend war und Viktor so blind. Dieser war's, weil er sich unter seinen Freuden aufs Errathen gleichgül¬ tiger oder schlimmer Leute gar nicht legte: er schwebte überhaupt wie ein Paradiesvogel immer in der Himmelsluft, vom Schmutzboden abgetrennt und flog wie alle Paradiesvögel, der losen Federn wegen immer gegen den Wind; daher bekam er, aus
»laſſe, denn er iſt ohne mich nicht raffinirt genug »dazu.» Denn er haͤlt uͤberhaupt den Helden der Hundspoſttage — der's auch gerne litt — ein wenig fuͤr dumm, blos weil Viktor gutmuͤthig, humoriſtiſch und gegen alle Menſchen vertraulich war. In der That gab dieſem das Leben in der großen Welt, zwar geiſtige und koͤrperliche Gewadtheit und Frey¬ heit, wenigſtens groͤßere; aber eine gewiſſe aͤußere Wuͤrde, die er an ſeinem Vater, am Miniſter und ſogar oft an Matthieu ſah, konnt' er niemals nach¬ kopieren: er war zufrieden, daß er eine hoͤhere Wuͤr¬ de in ſeiner Seele hatte und fand es zu laͤcherlich, auf der Erde ernſthaft zu ſeyn, und zu klein, ſtolz auszuſehen. Vielleicht konnten ſich Viktor und Schleunes darum nicht leiden: ein Menſch von Talenten und ein Buͤrger von Talenten haſſen ein¬ ander gegenſeitig.
Eh' ich dem Apotheker erlaube, alle Faͤden des Schleunesſchen Kanker-Geſpinſtes vorzuzeichnen: will ich nur erklaͤren, warum Zeuſel hieruͤber ſo all¬ wiſſend war und Viktor ſo blind. Dieſer war's, weil er ſich unter ſeinen Freuden aufs Errathen gleichguͤl¬ tiger oder ſchlimmer Leute gar nicht legte: er ſchwebte uͤberhaupt wie ein Paradiesvogel immer in der Himmelsluft, vom Schmutzboden abgetrennt und flog wie alle Paradiesvoͤgel, der loſen Federn wegen immer gegen den Wind; daher bekam er, aus
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0305"n="295"/>
»laſſe, denn er iſt ohne mich nicht raffinirt genug<lb/>
»dazu.» Denn er haͤlt uͤberhaupt den Helden der<lb/>
Hundspoſttage — der's auch gerne litt — ein wenig<lb/>
fuͤr dumm, blos weil Viktor gutmuͤthig, humoriſtiſch<lb/>
und gegen alle Menſchen vertraulich war. In der<lb/>
That gab dieſem das Leben in der großen Welt,<lb/>
zwar geiſtige und koͤrperliche Gewadtheit und Frey¬<lb/>
heit, wenigſtens groͤßere; aber eine gewiſſe aͤußere<lb/>
Wuͤrde, die er an ſeinem Vater, am Miniſter und<lb/>ſogar oft an Matthieu ſah, konnt' er niemals nach¬<lb/>
kopieren: er war zufrieden, daß er eine hoͤhere Wuͤr¬<lb/>
de in ſeiner Seele hatte und fand es zu laͤcherlich,<lb/>
auf der Erde ernſthaft zu ſeyn, und zu klein, ſtolz<lb/>
auszuſehen. Vielleicht konnten ſich Viktor und<lb/>
Schleunes darum nicht leiden: ein <hirendition="#g">Menſch</hi> von<lb/>
Talenten und ein <hirendition="#g">Buͤrger</hi> von Talenten haſſen ein¬<lb/>
ander gegenſeitig.</p><lb/><p>Eh' ich dem Apotheker erlaube, alle Faͤden des<lb/>
Schleunesſchen Kanker-Geſpinſtes vorzuzeichnen:<lb/>
will ich nur erklaͤren, warum Zeuſel hieruͤber ſo all¬<lb/>
wiſſend war und Viktor ſo blind. Dieſer war's, weil<lb/>
er ſich unter ſeinen Freuden aufs Errathen gleichguͤl¬<lb/>
tiger oder ſchlimmer Leute gar nicht legte: er<lb/>ſchwebte uͤberhaupt wie ein Paradiesvogel immer in<lb/>
der Himmelsluft, vom Schmutzboden abgetrennt und<lb/>
flog wie alle Paradiesvoͤgel, der loſen Federn wegen<lb/>
immer <hirendition="#g">gegen</hi> den Wind; daher bekam er, aus<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[295/0305]
»laſſe, denn er iſt ohne mich nicht raffinirt genug
»dazu.» Denn er haͤlt uͤberhaupt den Helden der
Hundspoſttage — der's auch gerne litt — ein wenig
fuͤr dumm, blos weil Viktor gutmuͤthig, humoriſtiſch
und gegen alle Menſchen vertraulich war. In der
That gab dieſem das Leben in der großen Welt,
zwar geiſtige und koͤrperliche Gewadtheit und Frey¬
heit, wenigſtens groͤßere; aber eine gewiſſe aͤußere
Wuͤrde, die er an ſeinem Vater, am Miniſter und
ſogar oft an Matthieu ſah, konnt' er niemals nach¬
kopieren: er war zufrieden, daß er eine hoͤhere Wuͤr¬
de in ſeiner Seele hatte und fand es zu laͤcherlich,
auf der Erde ernſthaft zu ſeyn, und zu klein, ſtolz
auszuſehen. Vielleicht konnten ſich Viktor und
Schleunes darum nicht leiden: ein Menſch von
Talenten und ein Buͤrger von Talenten haſſen ein¬
ander gegenſeitig.
Eh' ich dem Apotheker erlaube, alle Faͤden des
Schleunesſchen Kanker-Geſpinſtes vorzuzeichnen:
will ich nur erklaͤren, warum Zeuſel hieruͤber ſo all¬
wiſſend war und Viktor ſo blind. Dieſer war's, weil
er ſich unter ſeinen Freuden aufs Errathen gleichguͤl¬
tiger oder ſchlimmer Leute gar nicht legte: er
ſchwebte uͤberhaupt wie ein Paradiesvogel immer in
der Himmelsluft, vom Schmutzboden abgetrennt und
flog wie alle Paradiesvoͤgel, der loſen Federn wegen
immer gegen den Wind; daher bekam er, aus
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/305>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.