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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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"lasse, denn er ist ohne mich nicht raffinirt genug
"dazu." Denn er hält überhaupt den Helden der
Hundsposttage -- der's auch gerne litt -- ein wenig
für dumm, blos weil Viktor gutmüthig, humoristisch
und gegen alle Menschen vertraulich war. In der
That gab diesem das Leben in der großen Welt,
zwar geistige und körperliche Gewadtheit und Frey¬
heit, wenigstens größere; aber eine gewisse äußere
Würde, die er an seinem Vater, am Minister und
sogar oft an Matthieu sah, konnt' er niemals nach¬
kopieren: er war zufrieden, daß er eine höhere Wür¬
de in seiner Seele hatte und fand es zu lächerlich,
auf der Erde ernsthaft zu seyn, und zu klein, stolz
auszusehen. Vielleicht konnten sich Viktor und
Schleunes darum nicht leiden: ein Mensch von
Talenten und ein Bürger von Talenten hassen ein¬
ander gegenseitig.

Eh' ich dem Apotheker erlaube, alle Fäden des
Schleunesschen Kanker-Gespinstes vorzuzeichnen:
will ich nur erklären, warum Zeusel hierüber so all¬
wissend war und Viktor so blind. Dieser war's, weil
er sich unter seinen Freuden aufs Errathen gleichgül¬
tiger oder schlimmer Leute gar nicht legte: er
schwebte überhaupt wie ein Paradiesvogel immer in
der Himmelsluft, vom Schmutzboden abgetrennt und
flog wie alle Paradiesvögel, der losen Federn wegen
immer gegen den Wind; daher bekam er, aus

»laſſe, denn er iſt ohne mich nicht raffinirt genug
»dazu.» Denn er haͤlt uͤberhaupt den Helden der
Hundspoſttage — der's auch gerne litt — ein wenig
fuͤr dumm, blos weil Viktor gutmuͤthig, humoriſtiſch
und gegen alle Menſchen vertraulich war. In der
That gab dieſem das Leben in der großen Welt,
zwar geiſtige und koͤrperliche Gewadtheit und Frey¬
heit, wenigſtens groͤßere; aber eine gewiſſe aͤußere
Wuͤrde, die er an ſeinem Vater, am Miniſter und
ſogar oft an Matthieu ſah, konnt' er niemals nach¬
kopieren: er war zufrieden, daß er eine hoͤhere Wuͤr¬
de in ſeiner Seele hatte und fand es zu laͤcherlich,
auf der Erde ernſthaft zu ſeyn, und zu klein, ſtolz
auszuſehen. Vielleicht konnten ſich Viktor und
Schleunes darum nicht leiden: ein Menſch von
Talenten und ein Buͤrger von Talenten haſſen ein¬
ander gegenſeitig.

Eh' ich dem Apotheker erlaube, alle Faͤden des
Schleunesſchen Kanker-Geſpinſtes vorzuzeichnen:
will ich nur erklaͤren, warum Zeuſel hieruͤber ſo all¬
wiſſend war und Viktor ſo blind. Dieſer war's, weil
er ſich unter ſeinen Freuden aufs Errathen gleichguͤl¬
tiger oder ſchlimmer Leute gar nicht legte: er
ſchwebte uͤberhaupt wie ein Paradiesvogel immer in
der Himmelsluft, vom Schmutzboden abgetrennt und
flog wie alle Paradiesvoͤgel, der loſen Federn wegen
immer gegen den Wind; daher bekam er, aus

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[295/0305] »laſſe, denn er iſt ohne mich nicht raffinirt genug »dazu.» Denn er haͤlt uͤberhaupt den Helden der Hundspoſttage — der's auch gerne litt — ein wenig fuͤr dumm, blos weil Viktor gutmuͤthig, humoriſtiſch und gegen alle Menſchen vertraulich war. In der That gab dieſem das Leben in der großen Welt, zwar geiſtige und koͤrperliche Gewadtheit und Frey¬ heit, wenigſtens groͤßere; aber eine gewiſſe aͤußere Wuͤrde, die er an ſeinem Vater, am Miniſter und ſogar oft an Matthieu ſah, konnt' er niemals nach¬ kopieren: er war zufrieden, daß er eine hoͤhere Wuͤr¬ de in ſeiner Seele hatte und fand es zu laͤcherlich, auf der Erde ernſthaft zu ſeyn, und zu klein, ſtolz auszuſehen. Vielleicht konnten ſich Viktor und Schleunes darum nicht leiden: ein Menſch von Talenten und ein Buͤrger von Talenten haſſen ein¬ ander gegenſeitig. Eh' ich dem Apotheker erlaube, alle Faͤden des Schleunesſchen Kanker-Geſpinſtes vorzuzeichnen: will ich nur erklaͤren, warum Zeuſel hieruͤber ſo all¬ wiſſend war und Viktor ſo blind. Dieſer war's, weil er ſich unter ſeinen Freuden aufs Errathen gleichguͤl¬ tiger oder ſchlimmer Leute gar nicht legte: er ſchwebte uͤberhaupt wie ein Paradiesvogel immer in der Himmelsluft, vom Schmutzboden abgetrennt und flog wie alle Paradiesvoͤgel, der loſen Federn wegen immer gegen den Wind; daher bekam er, aus

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/305>, abgerufen am 23.11.2024.