Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm über die Windmonate des Gefühls hinüberge¬
holfen und er hatte bisher keine andre Sonne ange¬
betet als die um 21 Millionen Meilen entlegne --
bis der Himmel oder der Henker die nähere herführ¬
te, gerade im Jahr 1792. -- Noch wär' es ganz
passabel gewesen und das Unglück schon auszuhalten,
wenn er gescheut oder kalt gewesen wäre, ich will
sagen, wenn er nicht zu sich, gesagt hätte: "es ist
"schön nie über sich zu weinen, aber doch über den
"andern; es ist schön jeden Verlust zu verbeissen,
"aber nicht den eines Herzens, und was wird ein
"geschiedener Freund aus seiner Höhe größer finden,
"wenn ich mir Trostpredigten über sein Ableben mit
"wahrer Fassung halte, oder wenn ich dem Gelieb¬
"ten im freiwilligen übermannenden Kummer nach¬
"sinke?" -- Dadurch -- und aus Unbekanntschaft
mit der Uebermacht edler aber unbezähmter Gefühle
-- und weil er seine bisherige zufällige Apathie mit
einer freiwilligen verwechselte -- und aus einer über¬
schwenglichen Menschenliebe hatte er absichtlich sei¬
nem innern Menschen bisher die Fühlhörner zu groß
wachsen lassen -- und so war er durch einen Wir¬
bel aller bisherigen Einflüße, der bisherigen Berau¬
bungen, der bisherigen Rührungen, dieser Ostertage,
dieses schönen Jugenddorfes so weit verschlagen, daß
er trotz seiner Besonnenheit, seines Hoflebens, seiner
Laune einiges von seiner alten Unähnlichkeit mit je¬

ihm uͤber die Windmonate des Gefuͤhls hinuͤberge¬
holfen und er hatte bisher keine andre Sonne ange¬
betet als die um 21 Millionen Meilen entlegne —
bis der Himmel oder der Henker die naͤhere herfuͤhr¬
te, gerade im Jahr 1792. — Noch waͤr' es ganz
paſſabel geweſen und das Ungluͤck ſchon auszuhalten,
wenn er geſcheut oder kalt geweſen waͤre, ich will
ſagen, wenn er nicht zu ſich, geſagt haͤtte: »es iſt
»ſchoͤn nie uͤber ſich zu weinen, aber doch uͤber den
»andern; es iſt ſchoͤn jeden Verluſt zu verbeiſſen,
»aber nicht den eines Herzens, und was wird ein
»geſchiedener Freund aus ſeiner Hoͤhe groͤßer finden,
»wenn ich mir Troſtpredigten uͤber ſein Ableben mit
«wahrer Faſſung halte, oder wenn ich dem Gelieb¬
»ten im freiwilligen uͤbermannenden Kummer nach¬
»ſinke?» — Dadurch — und aus Unbekanntſchaft
mit der Uebermacht edler aber unbezaͤhmter Gefuͤhle
— und weil er ſeine bisherige zufaͤllige Apathie mit
einer freiwilligen verwechſelte — und aus einer uͤber¬
ſchwenglichen Menſchenliebe hatte er abſichtlich ſei¬
nem innern Menſchen bisher die Fuͤhlhoͤrner zu groß
wachſen laſſen — und ſo war er durch einen Wir¬
bel aller bisherigen Einfluͤße, der bisherigen Berau¬
bungen, der bisherigen Ruͤhrungen, dieſer Oſtertage,
dieſes ſchoͤnen Jugenddorfes ſo weit verſchlagen, daß
er trotz ſeiner Beſonnenheit, ſeines Hoflebens, ſeiner
Laune einiges von ſeiner alten Unaͤhnlichkeit mit je¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0371" n="361"/>
ihm u&#x0364;ber die Windmonate des Gefu&#x0364;hls hinu&#x0364;berge¬<lb/>
holfen und er hatte bisher keine andre Sonne ange¬<lb/>
betet als die um 21 Millionen Meilen entlegne &#x2014;<lb/>
bis der Himmel oder der Henker die na&#x0364;here herfu&#x0364;hr¬<lb/>
te, gerade im Jahr 1792. &#x2014; Noch wa&#x0364;r' es ganz<lb/>
pa&#x017F;&#x017F;abel gewe&#x017F;en und das Unglu&#x0364;ck &#x017F;chon auszuhalten,<lb/>
wenn er ge&#x017F;cheut oder kalt gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, ich will<lb/>
&#x017F;agen, wenn er nicht zu &#x017F;ich, ge&#x017F;agt ha&#x0364;tte: »es i&#x017F;t<lb/>
»&#x017F;cho&#x0364;n nie u&#x0364;ber &#x017F;ich zu weinen, aber doch u&#x0364;ber den<lb/>
»andern; es i&#x017F;t &#x017F;cho&#x0364;n jeden Verlu&#x017F;t zu verbei&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
»aber nicht den eines Herzens, und was wird ein<lb/>
»ge&#x017F;chiedener Freund aus &#x017F;einer Ho&#x0364;he gro&#x0364;ßer finden,<lb/>
»wenn ich mir Tro&#x017F;tpredigten u&#x0364;ber &#x017F;ein Ableben mit<lb/>
«wahrer Fa&#x017F;&#x017F;ung halte, oder wenn ich dem Gelieb¬<lb/>
»ten im freiwilligen u&#x0364;bermannenden Kummer nach¬<lb/>
»&#x017F;inke?» &#x2014; Dadurch &#x2014; und aus Unbekannt&#x017F;chaft<lb/>
mit der Uebermacht edler aber unbeza&#x0364;hmter Gefu&#x0364;hle<lb/>
&#x2014; und weil er &#x017F;eine bisherige zufa&#x0364;llige Apathie mit<lb/>
einer freiwilligen verwech&#x017F;elte &#x2014; und aus einer u&#x0364;ber¬<lb/>
&#x017F;chwenglichen Men&#x017F;chenliebe hatte er ab&#x017F;ichtlich &#x017F;ei¬<lb/>
nem innern Men&#x017F;chen bisher die Fu&#x0364;hlho&#x0364;rner zu groß<lb/>
wach&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en &#x2014; und &#x017F;o war er durch einen Wir¬<lb/>
bel aller bisherigen Einflu&#x0364;ße, der bisherigen Berau¬<lb/>
bungen, der bisherigen Ru&#x0364;hrungen, die&#x017F;er O&#x017F;tertage,<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;cho&#x0364;nen Jugenddorfes &#x017F;o weit ver&#x017F;chlagen, daß<lb/>
er trotz &#x017F;einer Be&#x017F;onnenheit, &#x017F;eines Hoflebens, &#x017F;einer<lb/>
Laune einiges von &#x017F;einer alten Una&#x0364;hnlichkeit mit je¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[361/0371] ihm uͤber die Windmonate des Gefuͤhls hinuͤberge¬ holfen und er hatte bisher keine andre Sonne ange¬ betet als die um 21 Millionen Meilen entlegne — bis der Himmel oder der Henker die naͤhere herfuͤhr¬ te, gerade im Jahr 1792. — Noch waͤr' es ganz paſſabel geweſen und das Ungluͤck ſchon auszuhalten, wenn er geſcheut oder kalt geweſen waͤre, ich will ſagen, wenn er nicht zu ſich, geſagt haͤtte: »es iſt »ſchoͤn nie uͤber ſich zu weinen, aber doch uͤber den »andern; es iſt ſchoͤn jeden Verluſt zu verbeiſſen, »aber nicht den eines Herzens, und was wird ein »geſchiedener Freund aus ſeiner Hoͤhe groͤßer finden, »wenn ich mir Troſtpredigten uͤber ſein Ableben mit «wahrer Faſſung halte, oder wenn ich dem Gelieb¬ »ten im freiwilligen uͤbermannenden Kummer nach¬ »ſinke?» — Dadurch — und aus Unbekanntſchaft mit der Uebermacht edler aber unbezaͤhmter Gefuͤhle — und weil er ſeine bisherige zufaͤllige Apathie mit einer freiwilligen verwechſelte — und aus einer uͤber¬ ſchwenglichen Menſchenliebe hatte er abſichtlich ſei¬ nem innern Menſchen bisher die Fuͤhlhoͤrner zu groß wachſen laſſen — und ſo war er durch einen Wir¬ bel aller bisherigen Einfluͤße, der bisherigen Berau¬ bungen, der bisherigen Ruͤhrungen, dieſer Oſtertage, dieſes ſchoͤnen Jugenddorfes ſo weit verſchlagen, daß er trotz ſeiner Beſonnenheit, ſeines Hoflebens, ſeiner Laune einiges von ſeiner alten Unaͤhnlichkeit mit je¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/371
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/371>, abgerufen am 25.11.2024.