sen zu brauchen ist, zu gar nichts; inzwischen will er doch, wenn er auch einen Klopstock und Göthe nicht schätzen kann, in müßigen Stunden einen gu¬ ten Knüttelvers und Leberreim nicht verachten. Ei¬ ne solche glückliche robuste Seelen-Konstituzion, worin man weniger seinen Geist erhöhen will als sei¬ nen Pacht, macht es freilich begreiflich, wie es Prä¬ servative geben kann, vermittelst deren der Flachsen¬ finger allein (wie Sokrates) in der Pest der Em¬ pfindsamkeit unangefochten herumwandelte. Der volle Mond machte bei ihnen volle Krebse aber keine volle Herzen und das was sie darin pflanzten, damit er den Wachsthum begünstigte, war nicht Liebe, son¬ dern -- Kohlrüben. Der ächte Klein-Wiener zielt nach viel nähern Schießscheiben als nach dieser dro¬ ben. Geheirathet wird da mit wahrer Lust, ohne daß man sich vorher todtgeschossen oder todtgeseufzet -- man kennt keine Impedimenta der Liebe als ka¬ nonische -- die weibliche Tugend ist ein ceinturon, der so lange halten soll als der Geschlechtsname der Tochter -- die Herzen der Töchter sind da wie Cou¬ verts, die sich, wenn sie einmal an einen Herrn adressirt waren, leicht umstülpen lassen, damit man darauf die Aufschrift an einen andern Menschen ma¬ che -- die Mädgen lieben da nicht aus Koketterie sondern aus Einfalt allen Teufel, ausgenommen arme Teufel . . .
ſen zu brauchen iſt, zu gar nichts; inzwiſchen will er doch, wenn er auch einen Klopſtock und Goͤthe nicht ſchaͤtzen kann, in muͤßigen Stunden einen gu¬ ten Knuͤttelvers und Leberreim nicht verachten. Ei¬ ne ſolche gluͤckliche robuſte Seelen-Konſtituzion, worin man weniger ſeinen Geiſt erhoͤhen will als ſei¬ nen Pacht, macht es freilich begreiflich, wie es Praͤ¬ ſervative geben kann, vermittelſt deren der Flachſen¬ finger allein (wie Sokrates) in der Peſt der Em¬ pfindſamkeit unangefochten herumwandelte. Der volle Mond machte bei ihnen volle Krebſe aber keine volle Herzen und das was ſie darin pflanzten, damit er den Wachsthum beguͤnſtigte, war nicht Liebe, ſon¬ dern — Kohlruͤben. Der aͤchte Klein-Wiener zielt nach viel naͤhern Schießſcheiben als nach dieſer dro¬ ben. Geheirathet wird da mit wahrer Luſt, ohne daß man ſich vorher todtgeſchoſſen oder todtgeſeufzet — man kennt keine Impedimenta der Liebe als ka¬ noniſche — die weibliche Tugend iſt ein ceinturon, der ſo lange halten ſoll als der Geſchlechtsname der Tochter — die Herzen der Toͤchter ſind da wie Cou¬ verts, die ſich, wenn ſie einmal an einen Herrn adreſſirt waren, leicht umſtuͤlpen laſſen, damit man darauf die Aufſchrift an einen andern Menſchen ma¬ che — die Maͤdgen lieben da nicht aus Koketterie ſondern aus Einfalt allen Teufel, ausgenommen arme Teufel . . .
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ſen zu brauchen iſt, zu gar nichts; inzwiſchen will
er doch, wenn er auch einen Klopſtock und Goͤthe
nicht ſchaͤtzen kann, in muͤßigen Stunden einen gu¬
ten Knuͤttelvers und Leberreim nicht verachten. Ei¬
ne ſolche gluͤckliche robuſte Seelen-Konſtituzion,
worin man weniger ſeinen Geiſt erhoͤhen will als ſei¬
nen Pacht, macht es freilich begreiflich, wie es Praͤ¬
ſervative geben kann, vermittelſt deren der Flachſen¬
finger allein (wie Sokrates) in der Peſt der Em¬
pfindſamkeit unangefochten herumwandelte. Der volle
Mond machte bei ihnen volle Krebſe aber keine volle
Herzen und das was ſie darin pflanzten, damit er
den Wachsthum beguͤnſtigte, war nicht Liebe, ſon¬
dern — Kohlruͤben. Der aͤchte Klein-Wiener zielt
nach viel naͤhern Schießſcheiben als nach dieſer dro¬
ben. Geheirathet wird da mit wahrer Luſt, ohne
daß man ſich vorher todtgeſchoſſen oder todtgeſeufzet
— man kennt keine Impedimenta der Liebe als ka¬
noniſche — die weibliche Tugend iſt ein ceinturon,
der ſo lange halten ſoll als der Geſchlechtsname der
Tochter — die Herzen der Toͤchter ſind da wie Cou¬
verts, die ſich, wenn ſie einmal an einen Herrn
adreſſirt waren, leicht umſtuͤlpen laſſen, damit man
darauf die Aufſchrift an einen andern Menſchen ma¬
che — die Maͤdgen lieben da nicht aus Koketterie
ſondern aus Einfalt allen Teufel, ausgenommen
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/72>, abgerufen am 21.11.2024.
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