Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Ende der Extrasylbe über die Kirchen¬
musik.

Ich hätte den Haarkräusler nicht so lange singen
und agiren lassen, wenn mein Held diesen ganzen
Sonntag zu etwas anderem zu brauchen wäre als zu
einem Figuranten; aber den ganzen Tag that er
nichts von Belang als daß er etwan aus Menschen¬
liebe die alte Appel zwang -- indem er ihre Kom¬
moden und Schachteln selber auspackte, -- von ih¬
rem Körper, der lieber Schinken als sich anputzte,
die gewöhnliche mit typographischer Pracht gedruckte
Schabbes-Edition, schon um drei Uhr Nachmittags
zu veranstalten: sonst lieferte sie solche erst nach dem
Abendessen. Die Juden glauben, am Sabbath eine
neue Schabbesseele zu bekommen: in die Mädgen
fährt wenigstens eine, in die Appeln ein Paar.

Aber warum muth' ich meinem Helden zu, heute
mehr Aktion zu zeigen -- ihm, der heute -- versun¬
ken in die Traum-Nacht und in den kommenden
Abend -- bewegt durch jedes freundliche Auge und
durch alle Rudera und Urnen des weggeträumten
Lenzes -- sanft aufgelöset durch den stillen lauen
Sommer, der an den Rauchaltären der Berge auf
den mit Milchflor belegten Fluren und unter dem
verstummenden Trauergefolge von Vögeln lächelnd
und sterbend lag und beim Aufsteigen der ersten
Wolke auf dem Laube verschied -- Viktor sag' ich,

Hesperus. II. Th. F

Ende der Extraſylbe uͤber die Kirchen¬
muſik.

Ich haͤtte den Haarkraͤusler nicht ſo lange ſingen
und agiren laſſen, wenn mein Held dieſen ganzen
Sonntag zu etwas anderem zu brauchen waͤre als zu
einem Figuranten; aber den ganzen Tag that er
nichts von Belang als daß er etwan aus Menſchen¬
liebe die alte Appel zwang — indem er ihre Kom¬
moden und Schachteln ſelber auspackte, — von ih¬
rem Koͤrper, der lieber Schinken als ſich anputzte,
die gewoͤhnliche mit typographiſcher Pracht gedruckte
Schabbes-Edition, ſchon um drei Uhr Nachmittags
zu veranſtalten: ſonſt lieferte ſie ſolche erſt nach dem
Abendeſſen. Die Juden glauben, am Sabbath eine
neue Schabbesſeele zu bekommen: in die Maͤdgen
faͤhrt wenigſtens eine, in die Appeln ein Paar.

Aber warum muth' ich meinem Helden zu, heute
mehr Aktion zu zeigen — ihm, der heute — verſun¬
ken in die Traum-Nacht und in den kommenden
Abend — bewegt durch jedes freundliche Auge und
durch alle Rudera und Urnen des weggetraͤumten
Lenzes — ſanft aufgeloͤſet durch den ſtillen lauen
Sommer, der an den Rauchaltaͤren der Berge auf
den mit Milchflor belegten Fluren und unter dem
verſtummenden Trauergefolge von Voͤgeln laͤchelnd
und ſterbend lag und beim Aufſteigen der erſten
Wolke auf dem Laube verſchied — Viktor ſag' ich,

Heſperus. II. Th. F
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0091" n="81"/>
            <p> <hi rendition="#g">Ende der Extra&#x017F;ylbe u&#x0364;ber die Kirchen¬<lb/>
mu&#x017F;ik.</hi> </p><lb/>
            <p>Ich ha&#x0364;tte den Haarkra&#x0364;usler nicht &#x017F;o lange &#x017F;ingen<lb/>
und agiren la&#x017F;&#x017F;en, wenn mein Held die&#x017F;en ganzen<lb/>
Sonntag zu etwas anderem zu brauchen wa&#x0364;re als zu<lb/>
einem Figuranten; aber den ganzen Tag that er<lb/>
nichts von Belang als daß er etwan aus Men&#x017F;chen¬<lb/>
liebe die alte Appel zwang &#x2014; indem er ihre Kom¬<lb/>
moden und Schachteln &#x017F;elber auspackte, &#x2014; von ih¬<lb/>
rem Ko&#x0364;rper, der lieber Schinken als &#x017F;ich anputzte,<lb/>
die gewo&#x0364;hnliche mit typographi&#x017F;cher Pracht gedruckte<lb/>
Schabbes-Edition, &#x017F;chon um drei Uhr Nachmittags<lb/>
zu veran&#x017F;talten: &#x017F;on&#x017F;t lieferte &#x017F;ie &#x017F;olche er&#x017F;t nach dem<lb/>
Abende&#x017F;&#x017F;en. Die Juden glauben, am Sabbath eine<lb/>
neue Schabbes&#x017F;eele zu bekommen: in die Ma&#x0364;dgen<lb/>
fa&#x0364;hrt wenig&#x017F;tens eine, in die Appeln ein Paar.</p><lb/>
            <p>Aber warum muth' ich meinem Helden zu, heute<lb/>
mehr Aktion zu zeigen &#x2014; ihm, der heute &#x2014; ver&#x017F;un¬<lb/>
ken in die Traum-Nacht und in den kommenden<lb/>
Abend &#x2014; bewegt durch jedes freundliche Auge und<lb/>
durch alle Rudera und Urnen des weggetra&#x0364;umten<lb/>
Lenzes &#x2014; &#x017F;anft aufgelo&#x0364;&#x017F;et durch den &#x017F;tillen lauen<lb/>
Sommer, der an den Rauchalta&#x0364;ren der Berge auf<lb/>
den mit Milchflor belegten Fluren und unter dem<lb/>
ver&#x017F;tummenden Trauergefolge von Vo&#x0364;geln la&#x0364;chelnd<lb/>
und &#x017F;terbend lag und beim Auf&#x017F;teigen der er&#x017F;ten<lb/>
Wolke auf dem Laube ver&#x017F;chied &#x2014; Viktor &#x017F;ag' ich,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">He&#x017F;perus. <hi rendition="#aq">II</hi>. Th. F<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0091] Ende der Extraſylbe uͤber die Kirchen¬ muſik. Ich haͤtte den Haarkraͤusler nicht ſo lange ſingen und agiren laſſen, wenn mein Held dieſen ganzen Sonntag zu etwas anderem zu brauchen waͤre als zu einem Figuranten; aber den ganzen Tag that er nichts von Belang als daß er etwan aus Menſchen¬ liebe die alte Appel zwang — indem er ihre Kom¬ moden und Schachteln ſelber auspackte, — von ih¬ rem Koͤrper, der lieber Schinken als ſich anputzte, die gewoͤhnliche mit typographiſcher Pracht gedruckte Schabbes-Edition, ſchon um drei Uhr Nachmittags zu veranſtalten: ſonſt lieferte ſie ſolche erſt nach dem Abendeſſen. Die Juden glauben, am Sabbath eine neue Schabbesſeele zu bekommen: in die Maͤdgen faͤhrt wenigſtens eine, in die Appeln ein Paar. Aber warum muth' ich meinem Helden zu, heute mehr Aktion zu zeigen — ihm, der heute — verſun¬ ken in die Traum-Nacht und in den kommenden Abend — bewegt durch jedes freundliche Auge und durch alle Rudera und Urnen des weggetraͤumten Lenzes — ſanft aufgeloͤſet durch den ſtillen lauen Sommer, der an den Rauchaltaͤren der Berge auf den mit Milchflor belegten Fluren und unter dem verſtummenden Trauergefolge von Voͤgeln laͤchelnd und ſterbend lag und beim Aufſteigen der erſten Wolke auf dem Laube verſchied — Viktor ſag' ich, Heſperus. II. Th. F

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/91
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/91>, abgerufen am 21.11.2024.