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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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"wäre jämmerlich, die von den Menschen nichts fo¬
"derte als was diese bisher ohne Philosophie leiste¬
"ten. Wir müssen die Wirklichkeit dem Ideal, aber
"nicht dieses jener anpassen."

Der heiß-philosophische Melchior: die meisten
"jetzigen Bewegungen sind nur Griffe die ein unter
"dem Trepan Schlafender nach der blutigen Gehirn¬
"baut thut. -- Aber die fallende Stalaktite der Re¬
"gentschaft tropfet endlich mit der steigenden Stal¬
"agmite des Volkes zur Säule zusammen."

Flamin: "setzen aber nicht Sparter Heloten
"voraus und Römer und deutsche Sklaven, und Eu¬
"ropäer Neger? -- Muß sich nicht immer das Glück
"des Ganzen auf einzelne Opfer gründen, so wie
"ein Stand sich dem Ackerbau widmen muß, damit
"ein anderer dem Wissen obliege?"

Kato der ältere: "dann spei' ich auf's Ganze
"wenn ich das Opfer bin, und verachte mich, wenn
"ich das Ganze bin."

Balthasar: besser ist's, das Ganze leidet frei¬
"willig eines einzigen Gliedes wegen, als daß dieses
"wider seine gerechte Stimme für das Ganze
"leide."

Mathieu: "fiat justitia et pereat mundus."

Viktor: "Auf deutsch: das größte physische Ue¬
"bel muß man vorziehen dem kleinsten moralischen,
"der kleinsten Ungerechtigkeit." --

»waͤre jaͤmmerlich, die von den Menſchen nichts fo¬
»derte als was dieſe bisher ohne Philoſophie leiſte¬
»ten. Wir muͤſſen die Wirklichkeit dem Ideal, aber
»nicht dieſes jener anpaſſen.«

Der heiß–philoſophiſche Melchior: die meiſten
»jetzigen Bewegungen ſind nur Griffe die ein unter
»dem Trepan Schlafender nach der blutigen Gehirn¬
»baut thut. — Aber die fallende Stalaktite der Re¬
»gentſchaft tropfet endlich mit der ſteigenden Stal¬
»agmite des Volkes zur Saͤule zuſammen.«

Flamin: »ſetzen aber nicht Sparter Heloten
»voraus und Roͤmer und deutſche Sklaven, und Eu¬
»ropaͤer Neger? — Muß ſich nicht immer das Gluͤck
»des Ganzen auf einzelne Opfer gruͤnden, ſo wie
»ein Stand ſich dem Ackerbau widmen muß, damit
»ein anderer dem Wiſſen obliege?«

Kato der aͤltere: »dann ſpei' ich auf's Ganze
»wenn ich das Opfer bin, und verachte mich, wenn
»ich das Ganze bin.«

Balthaſar: beſſer iſt's, das Ganze leidet frei¬
»willig eines einzigen Gliedes wegen, als daß dieſes
»wider ſeine gerechte Stimme fuͤr das Ganze
»leide.«

Mathieu: »fiat justitia et pereat mundus

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[98/0108] »waͤre jaͤmmerlich, die von den Menſchen nichts fo¬ »derte als was dieſe bisher ohne Philoſophie leiſte¬ »ten. Wir muͤſſen die Wirklichkeit dem Ideal, aber »nicht dieſes jener anpaſſen.« Der heiß–philoſophiſche Melchior: die meiſten »jetzigen Bewegungen ſind nur Griffe die ein unter »dem Trepan Schlafender nach der blutigen Gehirn¬ »baut thut. — Aber die fallende Stalaktite der Re¬ »gentſchaft tropfet endlich mit der ſteigenden Stal¬ »agmite des Volkes zur Saͤule zuſammen.« Flamin: »ſetzen aber nicht Sparter Heloten »voraus und Roͤmer und deutſche Sklaven, und Eu¬ »ropaͤer Neger? — Muß ſich nicht immer das Gluͤck »des Ganzen auf einzelne Opfer gruͤnden, ſo wie »ein Stand ſich dem Ackerbau widmen muß, damit »ein anderer dem Wiſſen obliege?« Kato der aͤltere: »dann ſpei' ich auf's Ganze »wenn ich das Opfer bin, und verachte mich, wenn »ich das Ganze bin.« Balthaſar: beſſer iſt's, das Ganze leidet frei¬ »willig eines einzigen Gliedes wegen, als daß dieſes »wider ſeine gerechte Stimme fuͤr das Ganze »leide.« Mathieu: »fiat justitia et pereat mundus.« Viktor: »Auf deutſch: das groͤßte phyſiſche Ue¬ »bel muß man vorziehen dem kleinſten moraliſchen, »der kleinſten Ungerechtigkeit.« —

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/108>, abgerufen am 23.11.2024.