und da vom sanften Tage nichts mehr übrig war als sein Nachhall im Herzen der Glücklichen und im Abendliede des Klosters, als sein Wiederschein in der ziehenden Abendröthe am Himmel und in dem befrie¬ digten noch lächelnden Angesicht des schlafenden Ema¬ nuels: so sahen in Viktor die stummen Freuden wie Gebete aus, die ungestörten Thränen wie überlau¬ fende Tropfen aus dem Freudenkelch, seine Stille wie eine gute That und sein ganzes Herz wie die warme Freudenzähre eines höhern Genius. . . .
Viktor führte den blinden Geliebten leise an seine Lagerstelle, wo der Traum seine zerritteten Augen operirte und ihnen die kleinen Landschaften seiner Kindheit mit Morgenfarben heller um sie stellte -- Und Viktor legte sich unentkleidet, dem tief herabge¬ rückten Monde gegenüber, auf die Baustelle unserer schönern Luftschlösser, auf den Resonanzboden der Kindheit, wo der Morgentraum den geheiligten Men¬ schen aus der Wüste des Tages auf den Berg Mo¬ sis führt und ihn schauen läßt in das dunkle gelobte Land der Ewigkeit. . . .
Der erste Pfingsttag, lieber Leser, hat in diesem Wonne-Dreiklang verhallt; aber in diesen drei hohen Festen von Freude wird wie bei denen im Kalender das zweite noch schöner, und das dritte
und da vom ſanften Tage nichts mehr uͤbrig war als ſein Nachhall im Herzen der Gluͤcklichen und im Abendliede des Kloſters, als ſein Wiederſchein in der ziehenden Abendroͤthe am Himmel und in dem befrie¬ digten noch laͤchelnden Angeſicht des ſchlafenden Ema¬ nuels: ſo ſahen in Viktor die ſtummen Freuden wie Gebete aus, die ungeſtoͤrten Thraͤnen wie uͤberlau¬ fende Tropfen aus dem Freudenkelch, ſeine Stille wie eine gute That und ſein ganzes Herz wie die warme Freudenzaͤhre eines hoͤhern Genius. . . .
Viktor fuͤhrte den blinden Geliebten leiſe an ſeine Lagerſtelle, wo der Traum ſeine zerritteten Augen operirte und ihnen die kleinen Landſchaften ſeiner Kindheit mit Morgenfarben heller um ſie ſtellte — Und Viktor legte ſich unentkleidet, dem tief herabge¬ ruͤckten Monde gegenuͤber, auf die Bauſtelle unſerer ſchoͤnern Luftſchloͤſſer, auf den Reſonanzboden der Kindheit, wo der Morgentraum den geheiligten Men¬ ſchen aus der Wuͤſte des Tages auf den Berg Mo¬ ſis fuͤhrt und ihn ſchauen laͤßt in das dunkle gelobte Land der Ewigkeit. . . .
Der erſte Pfingſttag, lieber Leſer, hat in dieſem Wonne-Dreiklang verhallt; aber in dieſen drei hohen Feſten von Freude wird wie bei denen im Kalender das zweite noch ſchoͤner, und das dritte
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und da vom ſanften Tage nichts mehr uͤbrig war
als ſein Nachhall im Herzen der Gluͤcklichen und im
Abendliede des Kloſters, als ſein Wiederſchein in der
ziehenden Abendroͤthe am Himmel und in dem befrie¬
digten noch laͤchelnden Angeſicht des ſchlafenden Ema¬
nuels: ſo ſahen in Viktor die ſtummen Freuden wie
Gebete aus, die ungeſtoͤrten Thraͤnen wie uͤberlau¬
fende Tropfen aus dem Freudenkelch, ſeine Stille
wie eine gute That und ſein ganzes Herz wie die
warme Freudenzaͤhre eines hoͤhern Genius. . . .
Viktor fuͤhrte den blinden Geliebten leiſe an ſeine
Lagerſtelle, wo der Traum ſeine zerritteten Augen
operirte und ihnen die kleinen Landſchaften ſeiner
Kindheit mit Morgenfarben heller um ſie ſtellte —
Und Viktor legte ſich unentkleidet, dem tief herabge¬
ruͤckten Monde gegenuͤber, auf die Bauſtelle unſerer
ſchoͤnern Luftſchloͤſſer, auf den Reſonanzboden der
Kindheit, wo der Morgentraum den geheiligten Men¬
ſchen aus der Wuͤſte des Tages auf den Berg Mo¬
ſis fuͤhrt und ihn ſchauen laͤßt in das dunkle gelobte
Land der Ewigkeit. . . .
Der erſte Pfingſttag, lieber Leſer, hat in dieſem
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/153>, abgerufen am 27.11.2024.
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