sie an ihm vorüber ging und dachte vielleicht: "arme verschattete Seele, die Seufzer der Musik "dehnen dein sehnsüchtiges Herz aus und du siehst "nie, wen du liebst, wer dich liebt." -- Emanuel ging einsam den langen Weg zu seinem Berge mit der Trauerbirke hinauf und zurück. -- Viktor irrte den ganzen Garten hindurch: er kam vor verhüllten Obelisken, Säulen und Würfeln vorüber, die den Platz steinerner Faunen besser besetzten; er trat in die dunkle nur von der Abendröthe schattirte Abendlaube, wo er gestern zu glücklich war für einen Sterblichen und zu weich für einen Unsterblichen; -- er drängte sich durch einen Ring von Büschen, aus denen ein strahlendes Springwasser vorragte und schloß geblen¬ det die Augen zu als er darin in künstlich belaubten Pfeilerspiegeln einen mit Mondssilber gesättigten Wasserbogen in zurückweichenden Erbleichungen mil¬ lionenmal aufgewölbt und aus weissen Regenbögen in Mondssicheln und endlich in Schatten zurückge¬ führt erblickte. -- --
O wie oft hatt' er nicht in seinen Kinderträu¬ men, in seinen Landschaftsgemälden, die er sich von den Tagen des Paradieses entwarf, diese Nacht ge¬ sehen und kaum gewünscht, weil er sie auf der rau¬ hen Erde nie zu erleben hofte; und jetzt stand diese Eden-Nacht mit allen um sie hängenden Blüten und Sternen ausgeschaffen vor ihm? -- Und wer von
ſie an ihm voruͤber ging und dachte vielleicht: »arme verſchattete Seele, die Seufzer der Muſik »dehnen dein ſehnſuͤchtiges Herz aus und du ſiehſt »nie, wen du liebſt, wer dich liebt.« — Emanuel ging einſam den langen Weg zu ſeinem Berge mit der Trauerbirke hinauf und zuruͤck. — Viktor irrte den ganzen Garten hindurch: er kam vor verhuͤllten Obeliſken, Saͤulen und Wuͤrfeln voruͤber, die den Platz ſteinerner Faunen beſſer beſetzten; er trat in die dunkle nur von der Abendroͤthe ſchattirte Abendlaube, wo er geſtern zu gluͤcklich war fuͤr einen Sterblichen und zu weich fuͤr einen Unſterblichen; — er draͤngte ſich durch einen Ring von Buͤſchen, aus denen ein ſtrahlendes Springwaſſer vorragte und ſchloß geblen¬ det die Augen zu als er darin in kuͤnſtlich belaubten Pfeilerſpiegeln einen mit Mondsſilber geſaͤttigten Waſſerbogen in zuruͤckweichenden Erbleichungen mil¬ lionenmal aufgewoͤlbt und aus weiſſen Regenboͤgen in Mondsſicheln und endlich in Schatten zuruͤckge¬ fuͤhrt erblickte. — —
O wie oft hatt' er nicht in ſeinen Kindertraͤu¬ men, in ſeinen Landſchaftsgemaͤlden, die er ſich von den Tagen des Paradieſes entwarf, dieſe Nacht ge¬ ſehen und kaum gewuͤnſcht, weil er ſie auf der rau¬ hen Erde nie zu erleben hofte; und jetzt ſtand dieſe Eden-Nacht mit allen um ſie haͤngenden Bluͤten und Sternen ausgeſchaffen vor ihm? — Und wer von
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ſie an ihm voruͤber ging und dachte vielleicht:
»arme verſchattete Seele, die Seufzer der Muſik
»dehnen dein ſehnſuͤchtiges Herz aus und du ſiehſt
»nie, wen du liebſt, wer dich liebt.« — Emanuel
ging einſam den langen Weg zu ſeinem Berge mit
der Trauerbirke hinauf und zuruͤck. — Viktor irrte
den ganzen Garten hindurch: er kam vor verhuͤllten
Obeliſken, Saͤulen und Wuͤrfeln voruͤber, die den
Platz ſteinerner Faunen beſſer beſetzten; er trat in die
dunkle nur von der Abendroͤthe ſchattirte Abendlaube,
wo er geſtern zu gluͤcklich war fuͤr einen Sterblichen
und zu weich fuͤr einen Unſterblichen; — er draͤngte
ſich durch einen Ring von Buͤſchen, aus denen ein
ſtrahlendes Springwaſſer vorragte und ſchloß geblen¬
det die Augen zu als er darin in kuͤnſtlich belaubten
Pfeilerſpiegeln einen mit Mondsſilber geſaͤttigten
Waſſerbogen in zuruͤckweichenden Erbleichungen mil¬
lionenmal aufgewoͤlbt und aus weiſſen Regenboͤgen
in Mondsſicheln und endlich in Schatten zuruͤckge¬
fuͤhrt erblickte. — —
O wie oft hatt' er nicht in ſeinen Kindertraͤu¬
men, in ſeinen Landſchaftsgemaͤlden, die er ſich von
den Tagen des Paradieſes entwarf, dieſe Nacht ge¬
ſehen und kaum gewuͤnſcht, weil er ſie auf der rau¬
hen Erde nie zu erleben hofte; und jetzt ſtand dieſe
Eden-Nacht mit allen um ſie haͤngenden Bluͤten und
Sternen ausgeſchaffen vor ihm? — Und wer von
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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