Ganzen glaub' ich dient das Gehirn mehr den Mu¬ skelnnerven, den Glieder Zügeln, die da in der Hand der Seele zusammenlaufen, und mehr allen überhaupt als nährende Wurzel; aber weniger dient es als Reiszeug der mahlenden Seele. Da unsere meisten Vorstellungen auf grundirende Gesichtsbilder aufgetragen sind: so denken wir wahrscheinlich mehr mit dem Sehnerven als mit dem Gehirn. Warum bemerkte Bonnet, daß tiefes Denken die Augen und scharfes Sehen das Gehirn ermüde? Warum stum¬ pfen gewisse Ausschweifungen zugleich das Gedächt¬ niß und die Augen ab? Die ausserhalb des Auges gaukelnden Fieberbilder der Kranken und der lebhaf¬ ten Menschen wie Kardan, der im dunkeln sah was er feurig dachte, erklären sich aus meiner Ver¬ muthung.
Ueber das Gehirn hat man zwei Irrthümer; aber der Himmel bewahre meine Freunde nur vor dem einen. Denn vor dem andern kann sie Reimarus bewahren, der recht erwiesen hat, daß das Gehirn keine Aeolsharfe mit ziternden Fibern noch eine dunkle Kammer mit geschobnen Bildern ist, noch eine Spiel¬ welle mit Stiften für jede Idee, die der Geist um¬ dreht, um an sich seine Ideen ab und vorzuorgeln. Ist nun nicht einmal die vorher bestimmte Harmonie des Gehirns und des Geistes oder das Akkompagne¬ ment beider begreiflich: so ist die Identität der¬
Ganzen glaub' ich dient das Gehirn mehr den Mu¬ ſkelnnerven, den Glieder Zuͤgeln, die da in der Hand der Seele zuſammenlaufen, und mehr allen uͤberhaupt als naͤhrende Wurzel; aber weniger dient es als Reiszeug der mahlenden Seele. Da unſere meiſten Vorſtellungen auf grundirende Geſichtsbilder aufgetragen ſind: ſo denken wir wahrſcheinlich mehr mit dem Sehnerven als mit dem Gehirn. Warum bemerkte Bonnet, daß tiefes Denken die Augen und ſcharfes Sehen das Gehirn ermuͤde? Warum ſtum¬ pfen gewiſſe Ausſchweifungen zugleich das Gedaͤcht¬ niß und die Augen ab? Die auſſerhalb des Auges gaukelnden Fieberbilder der Kranken und der lebhaf¬ ten Menſchen wie Kardan, der im dunkeln ſah was er feurig dachte, erklaͤren ſich aus meiner Ver¬ muthung.
Ueber das Gehirn hat man zwei Irrthuͤmer; aber der Himmel bewahre meine Freunde nur vor dem einen. Denn vor dem andern kann ſie Reimarus bewahren, der recht erwieſen hat, daß das Gehirn keine Aeolsharfe mit ziternden Fibern noch eine dunkle Kammer mit geſchobnen Bildern iſt, noch eine Spiel¬ welle mit Stiften fuͤr jede Idee, die der Geiſt um¬ dreht, um an ſich ſeine Ideen ab und vorzuorgeln. Iſt nun nicht einmal die vorher beſtimmte Harmonie des Gehirns und des Geiſtes oder das Akkompagne¬ ment beider begreiflich: ſo iſt die Identitaͤt der¬
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Ganzen glaub' ich dient das Gehirn mehr den Mu¬
ſkelnnerven, den Glieder Zuͤgeln, die da in der
Hand der Seele zuſammenlaufen, und mehr allen
uͤberhaupt als naͤhrende Wurzel; aber weniger dient
es als Reiszeug der mahlenden Seele. Da unſere
meiſten Vorſtellungen auf grundirende Geſichtsbilder
aufgetragen ſind: ſo denken wir wahrſcheinlich mehr
mit dem Sehnerven als mit dem Gehirn. Warum
bemerkte Bonnet, daß tiefes Denken die Augen und
ſcharfes Sehen das Gehirn ermuͤde? Warum ſtum¬
pfen gewiſſe Ausſchweifungen zugleich das Gedaͤcht¬
niß und die Augen ab? Die auſſerhalb des Auges
gaukelnden Fieberbilder der Kranken und der lebhaf¬
ten Menſchen wie Kardan, der im dunkeln ſah was
er feurig dachte, erklaͤren ſich aus meiner Ver¬
muthung.
Ueber das Gehirn hat man zwei Irrthuͤmer; aber
der Himmel bewahre meine Freunde nur vor dem
einen. Denn vor dem andern kann ſie Reimarus
bewahren, der recht erwieſen hat, daß das Gehirn keine
Aeolsharfe mit ziternden Fibern noch eine dunkle
Kammer mit geſchobnen Bildern iſt, noch eine Spiel¬
welle mit Stiften fuͤr jede Idee, die der Geiſt um¬
dreht, um an ſich ſeine Ideen ab und vorzuorgeln.
Iſt nun nicht einmal die vorher beſtimmte Harmonie
des Gehirns und des Geiſtes oder das Akkompagne¬
ment beider begreiflich: ſo iſt die Identitaͤt der¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/240>, abgerufen am 23.11.2024.
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