Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

gut, sie ist der ausgestreckte höltzerne Arm am Wege
der Tugend; aber dieser Arm kann uns weder hin¬
tragen noch hindrängen -- die Vernunft hat die ge¬
setzgebende, nicht die ausübende Gewalt. -- Die
Kraft, diese Befehle zu lieben, die noch größere,
sich ihnen zu ergeben, ist ein zweites Gewissen ne¬
ben dem ersten -- wie Kant nicht das mit Dinte
signiren kann, was den Menschen schlimm macht,
so ist auch das nicht darzustellen, was sein Herz
über dem moralischen Kothe aufrecht erhält oder
aus diesem erhebt. --

Wer erklärt es, wenn es Menschen giebt, die von
Jugend aus ein gewisses Gefühl von Ehre entweder besi¬
tzen oder entbehren -- im weiblichen Geschlecht ist
diese Abtheilung noch schroffer und wichtiger -- wenn
es Menschen giebt, die von Jugend auf eine gewisse
Sehnsucht nach dem Ueberirdischen, nach der Reli¬
gion, nach dem Edleren im Menschen, (und nach
Systemen, die dieses Edlere besiegeln, nicht bestrei¬
ten) entweder empfinden oder ewig entrathen? -- --
(Bei Kindern ist warmes Gefühl für die Religion
immer ein Zeichen des Genies). Der Mensch wird
nicht gut (obwohl besser), weil er sich bekehrt, son¬
dern er bekehrt sich weil er gut ist.

Wäre die Tugend nichts wie Stoizismus: so
wäre sie ein bloßes Kind der Vernunft, deren Pfle¬
getochter sie höchstens ist. Der Stoizismus stellt die

gut, ſie iſt der ausgeſtreckte hoͤltzerne Arm am Wege
der Tugend; aber dieſer Arm kann uns weder hin¬
tragen noch hindraͤngen — die Vernunft hat die ge¬
ſetzgebende, nicht die ausuͤbende Gewalt. — Die
Kraft, dieſe Befehle zu lieben, die noch groͤßere,
ſich ihnen zu ergeben, iſt ein zweites Gewiſſen ne¬
ben dem erſten — wie Kant nicht das mit Dinte
ſigniren kann, was den Menſchen ſchlimm macht,
ſo iſt auch das nicht darzuſtellen, was ſein Herz
uͤber dem moraliſchen Kothe aufrecht erhaͤlt oder
aus dieſem erhebt. —

Wer erklaͤrt es, wenn es Menſchen giebt, die von
Jugend aus ein gewiſſes Gefuͤhl von Ehre entweder beſi¬
tzen oder entbehren — im weiblichen Geſchlecht iſt
dieſe Abtheilung noch ſchroffer und wichtiger — wenn
es Menſchen giebt, die von Jugend auf eine gewiſſe
Sehnſucht nach dem Ueberirdiſchen, nach der Reli¬
gion, nach dem Edleren im Menſchen, (und nach
Syſtemen, die dieſes Edlere beſiegeln, nicht beſtrei¬
ten) entweder empfinden oder ewig entrathen? — —
(Bei Kindern iſt warmes Gefuͤhl fuͤr die Religion
immer ein Zeichen des Genies). Der Menſch wird
nicht gut (obwohl beſſer), weil er ſich bekehrt, ſon¬
dern er bekehrt ſich weil er gut iſt.

Waͤre die Tugend nichts wie Stoizismus: ſo
waͤre ſie ein bloßes Kind der Vernunft, deren Pfle¬
getochter ſie hoͤchſtens iſt. Der Stoizismus ſtellt die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="18"/>
gut, &#x017F;ie i&#x017F;t der ausge&#x017F;treckte ho&#x0364;ltzerne Arm am Wege<lb/>
der Tugend; aber die&#x017F;er Arm kann uns weder hin¬<lb/>
tragen noch hindra&#x0364;ngen &#x2014; die Vernunft hat die ge¬<lb/>
&#x017F;etzgebende, nicht die ausu&#x0364;bende Gewalt. &#x2014; Die<lb/>
Kraft, die&#x017F;e Befehle zu lieben, die noch gro&#x0364;ßere,<lb/>
&#x017F;ich ihnen zu ergeben, i&#x017F;t ein zweites Gewi&#x017F;&#x017F;en ne¬<lb/>
ben dem er&#x017F;ten &#x2014; wie Kant nicht das mit Dinte<lb/>
&#x017F;igniren kann, was den Men&#x017F;chen &#x017F;chlimm macht,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t auch das nicht darzu&#x017F;tellen, was &#x017F;ein Herz<lb/>
u&#x0364;ber dem morali&#x017F;chen Kothe aufrecht erha&#x0364;lt oder<lb/>
aus die&#x017F;em erhebt. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wer erkla&#x0364;rt es, wenn es Men&#x017F;chen giebt, die von<lb/>
Jugend aus ein gewi&#x017F;&#x017F;es Gefu&#x0364;hl von Ehre entweder be&#x017F;<lb/>
tzen oder entbehren &#x2014; im weiblichen Ge&#x017F;chlecht i&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;e Abtheilung noch &#x017F;chroffer und wichtiger &#x2014; wenn<lb/>
es Men&#x017F;chen giebt, die von Jugend auf eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Sehn&#x017F;ucht nach dem Ueberirdi&#x017F;chen, nach der Reli¬<lb/>
gion, nach dem Edleren im Men&#x017F;chen, (und nach<lb/>
Sy&#x017F;temen, die die&#x017F;es Edlere be&#x017F;iegeln, nicht be&#x017F;trei¬<lb/>
ten) entweder empfinden oder ewig entrathen? &#x2014; &#x2014;<lb/>
(Bei Kindern i&#x017F;t warmes Gefu&#x0364;hl fu&#x0364;r die Religion<lb/>
immer ein Zeichen des Genies). Der Men&#x017F;ch wird<lb/>
nicht gut (obwohl be&#x017F;&#x017F;er), weil er &#x017F;ich bekehrt, &#x017F;on¬<lb/>
dern er bekehrt &#x017F;ich weil er gut i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Wa&#x0364;re die Tugend nichts wie Stoizismus: &#x017F;o<lb/>
wa&#x0364;re &#x017F;ie ein bloßes Kind der Vernunft, deren Pfle¬<lb/>
getochter &#x017F;ie ho&#x0364;ch&#x017F;tens i&#x017F;t. Der Stoizismus &#x017F;tellt die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0028] gut, ſie iſt der ausgeſtreckte hoͤltzerne Arm am Wege der Tugend; aber dieſer Arm kann uns weder hin¬ tragen noch hindraͤngen — die Vernunft hat die ge¬ ſetzgebende, nicht die ausuͤbende Gewalt. — Die Kraft, dieſe Befehle zu lieben, die noch groͤßere, ſich ihnen zu ergeben, iſt ein zweites Gewiſſen ne¬ ben dem erſten — wie Kant nicht das mit Dinte ſigniren kann, was den Menſchen ſchlimm macht, ſo iſt auch das nicht darzuſtellen, was ſein Herz uͤber dem moraliſchen Kothe aufrecht erhaͤlt oder aus dieſem erhebt. — Wer erklaͤrt es, wenn es Menſchen giebt, die von Jugend aus ein gewiſſes Gefuͤhl von Ehre entweder beſi¬ tzen oder entbehren — im weiblichen Geſchlecht iſt dieſe Abtheilung noch ſchroffer und wichtiger — wenn es Menſchen giebt, die von Jugend auf eine gewiſſe Sehnſucht nach dem Ueberirdiſchen, nach der Reli¬ gion, nach dem Edleren im Menſchen, (und nach Syſtemen, die dieſes Edlere beſiegeln, nicht beſtrei¬ ten) entweder empfinden oder ewig entrathen? — — (Bei Kindern iſt warmes Gefuͤhl fuͤr die Religion immer ein Zeichen des Genies). Der Menſch wird nicht gut (obwohl beſſer), weil er ſich bekehrt, ſon¬ dern er bekehrt ſich weil er gut iſt. Waͤre die Tugend nichts wie Stoizismus: ſo waͤre ſie ein bloßes Kind der Vernunft, deren Pfle¬ getochter ſie hoͤchſtens iſt. Der Stoizismus ſtellt die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/28
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/28>, abgerufen am 21.11.2024.