Es war erhaben-still um drei zerrüttete Men¬ schen: blos ein Abendlüftgen flatterte in den Linden¬ blättern des Zimmers, und eine Biene zog um die Lindenblüten; aber draussen ausserhalb dem Theater der Beängstigung ruhte ein seeliger Abend auf den roth übersonnten Fluren unter freudigen, flatternden, singenden, trunknen Wesen.
Emanuel schauete still in die Sonne, die tiefer in die Erde drang: er krallte nicht am Deckbette wie andre, sondern hob seine Arme empor wie zu einem Fluge oder zu einer Umarmung. Viktor nahm seine geliebten Hände, aber sie hiengen ohne Druck in seine nieder. Und als die Sonne wie eine lo¬ dernde Welt am Gerichtstage, untersank in einer aufschießenden letzten Lohe: so blieb der Stille mit kalten Augen an der leeren Stelle der Sonne und merkte den Untergang nicht; und Viktor sah plötzlich wechselnde Blitze der Todessense gelb über das un¬ verrückte Antlitz gehen -- Da gab er zerrüttet dem Julius die Flöte und sagte gebrochen: spiele das Lied der Entzückung, jetzt stirbt er. -- --
Und Julius preßte mit strömenden verfinsterten Augen den schluchzenden Athem in die Flöte und er¬ hob seine Seufzer zu himmlischen Tönen, um die entrinnende Seele unter ihrer Auswurzelung mit dem Nachklange der ersten Welt, mit dem Verklan¬
Es war erhaben-ſtill um drei zerruͤttete Men¬ ſchen: blos ein Abendluͤftgen flatterte in den Linden¬ blaͤttern des Zimmers, und eine Biene zog um die Lindenbluͤten; aber drauſſen auſſerhalb dem Theater der Beaͤngſtigung ruhte ein ſeeliger Abend auf den roth uͤberſonnten Fluren unter freudigen, flatternden, ſingenden, trunknen Weſen.
Emanuel ſchauete ſtill in die Sonne, die tiefer in die Erde drang: er krallte nicht am Deckbette wie andre, ſondern hob ſeine Arme empor wie zu einem Fluge oder zu einer Umarmung. Viktor nahm ſeine geliebten Haͤnde, aber ſie hiengen ohne Druck in ſeine nieder. Und als die Sonne wie eine lo¬ dernde Welt am Gerichtstage, unterſank in einer aufſchießenden letzten Lohe: ſo blieb der Stille mit kalten Augen an der leeren Stelle der Sonne und merkte den Untergang nicht; und Viktor ſah ploͤtzlich wechſelnde Blitze der Todesſenſe gelb uͤber das un¬ verruͤckte Antlitz gehen — Da gab er zerruͤttet dem Julius die Floͤte und ſagte gebrochen: ſpiele das Lied der Entzuͤckung, jetzt ſtirbt er. — —
Und Julius preßte mit ſtroͤmenden verfinſterten Augen den ſchluchzenden Athem in die Floͤte und er¬ hob ſeine Seufzer zu himmliſchen Toͤnen, um die entrinnende Seele unter ihrer Auswurzelung mit dem Nachklange der erſten Welt, mit dem Verklan¬
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Es war erhaben-ſtill um drei zerruͤttete Men¬
ſchen: blos ein Abendluͤftgen flatterte in den Linden¬
blaͤttern des Zimmers, und eine Biene zog um die
Lindenbluͤten; aber drauſſen auſſerhalb dem Theater
der Beaͤngſtigung ruhte ein ſeeliger Abend auf den
roth uͤberſonnten Fluren unter freudigen, flatternden,
ſingenden, trunknen Weſen.
Emanuel ſchauete ſtill in die Sonne, die tiefer
in die Erde drang: er krallte nicht am Deckbette
wie andre, ſondern hob ſeine Arme empor wie zu
einem Fluge oder zu einer Umarmung. Viktor nahm
ſeine geliebten Haͤnde, aber ſie hiengen ohne Druck
in ſeine nieder. Und als die Sonne wie eine lo¬
dernde Welt am Gerichtstage, unterſank in einer
aufſchießenden letzten Lohe: ſo blieb der Stille mit
kalten Augen an der leeren Stelle der Sonne und
merkte den Untergang nicht; und Viktor ſah ploͤtzlich
wechſelnde Blitze der Todesſenſe gelb uͤber das un¬
verruͤckte Antlitz gehen — Da gab er zerruͤttet dem
Julius die Floͤte und ſagte gebrochen: ſpiele das
Lied der Entzuͤckung, jetzt ſtirbt er. — —
Und Julius preßte mit ſtroͤmenden verfinſterten
Augen den ſchluchzenden Athem in die Floͤte und er¬
hob ſeine Seufzer zu himmliſchen Toͤnen, um die
entrinnende Seele unter ihrer Auswurzelung mit
dem Nachklange der erſten Welt, mit dem Verklan¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/307>, abgerufen am 23.11.2024.
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