Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

und gern die Augen ab und sagte blos: "so wollen
"wir denn auf die Insel jetzt gehen -- es wird
"schon neun Uhr."

Wir giengen fern, fern vor der fleckigen Trauer¬
birke vorüber, die ihr abgerissenes Laub der welken
Hülle des großen Menschen nachwarf. Viktor
konnte vor Schmerz nicht hinübersehen; aber ich
blickte mit einem kalten Zittern nach ihrem Schwan¬
ken im heitern Nachthimmel. Erst seit einigen Ta¬
gen, wo Viktor glücklicher geworden war, hatte sich
der Staub Emanuels gleichsam wieder in eine blasse
Gestalt zusammengezogen und sich auf das Todten¬
grün herausgestellt und die Arme weit für seinen al¬
ten Liebling aufgethan -- und Viktor jammerte und
schmachtete und wollte vergeblich sich sterbend an den
weißen Schatten pressen.

Er lächelte schmerzlich, da er uns und sich durch
die Worte zerstreuen wollte: "der närrische Mensch
"duckt (bückt) sich wie ein Vogel, wenn nur das
"Unglück von weitem auf ihn zugeht." Seine Thrä¬
nen machten ihn zum Blinden und ich und Flamin
waren seine Führer, dennoch grüßte er in seinem
Schmerze einen Nachtboten.

Ich habe nichts gesagt (denn ich kann nicht)
vom Garten des Endes, dem verblühenden Boden
abgeblühter abgelaubter Freudentage.

Ueber die Stoppeln und über die Puppen der

und gern die Augen ab und ſagte blos: »ſo wollen
»wir denn auf die Inſel jetzt gehen — es wird
»ſchon neun Uhr.»

Wir giengen fern, fern vor der fleckigen Trauer¬
birke voruͤber, die ihr abgeriſſenes Laub der welken
Huͤlle des großen Menſchen nachwarf. Viktor
konnte vor Schmerz nicht hinuͤberſehen; aber ich
blickte mit einem kalten Zittern nach ihrem Schwan¬
ken im heitern Nachthimmel. Erſt ſeit einigen Ta¬
gen, wo Viktor gluͤcklicher geworden war, hatte ſich
der Staub Emanuels gleichſam wieder in eine blaſſe
Geſtalt zuſammengezogen und ſich auf das Todten¬
gruͤn herausgeſtellt und die Arme weit fuͤr ſeinen al¬
ten Liebling aufgethan — und Viktor jammerte und
ſchmachtete und wollte vergeblich ſich ſterbend an den
weißen Schatten preſſen.

Er laͤchelte ſchmerzlich, da er uns und ſich durch
die Worte zerſtreuen wollte: »der naͤrriſche Menſch
»duckt (buͤckt) ſich wie ein Vogel, wenn nur das
»Ungluͤck von weitem auf ihn zugeht.» Seine Thraͤ¬
nen machten ihn zum Blinden und ich und Flamin
waren ſeine Fuͤhrer, dennoch gruͤßte er in ſeinem
Schmerze einen Nachtboten.

Ich habe nichts geſagt (denn ich kann nicht)
vom Garten des Endes, dem verbluͤhenden Boden
abgebluͤhter abgelaubter Freudentage.

Ueber die Stoppeln und uͤber die Puppen der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0451" n="441"/>
und gern die Augen ab und &#x017F;agte blos: »&#x017F;o wollen<lb/>
»wir denn auf die In&#x017F;el jetzt gehen &#x2014; es wird<lb/>
»&#x017F;chon neun Uhr.»</p><lb/>
            <p>Wir giengen fern, fern vor der fleckigen Trauer¬<lb/>
birke voru&#x0364;ber, die ihr abgeri&#x017F;&#x017F;enes Laub der welken<lb/>
Hu&#x0364;lle des großen Men&#x017F;chen nachwarf. Viktor<lb/>
konnte vor Schmerz nicht hinu&#x0364;ber&#x017F;ehen; aber ich<lb/>
blickte mit einem kalten Zittern nach ihrem Schwan¬<lb/>
ken im heitern Nachthimmel. Er&#x017F;t &#x017F;eit einigen Ta¬<lb/>
gen, wo Viktor glu&#x0364;cklicher geworden war, hatte &#x017F;ich<lb/>
der Staub Emanuels gleich&#x017F;am wieder in eine bla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Ge&#x017F;talt zu&#x017F;ammengezogen und &#x017F;ich auf das Todten¬<lb/>
gru&#x0364;n herausge&#x017F;tellt und die Arme weit fu&#x0364;r &#x017F;einen al¬<lb/>
ten Liebling aufgethan &#x2014; und Viktor jammerte und<lb/>
&#x017F;chmachtete und wollte vergeblich &#x017F;ich &#x017F;terbend an den<lb/>
weißen Schatten pre&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Er la&#x0364;chelte &#x017F;chmerzlich, da er uns und &#x017F;ich durch<lb/>
die Worte zer&#x017F;treuen wollte: »der na&#x0364;rri&#x017F;che Men&#x017F;ch<lb/>
»duckt (bu&#x0364;ckt) &#x017F;ich wie ein Vogel, wenn nur das<lb/>
»Unglu&#x0364;ck von weitem auf ihn zugeht.» Seine Thra&#x0364;¬<lb/>
nen machten ihn zum Blinden und ich und Flamin<lb/>
waren &#x017F;eine Fu&#x0364;hrer, dennoch gru&#x0364;ßte er in &#x017F;einem<lb/>
Schmerze einen Nachtboten.</p><lb/>
            <p>Ich habe nichts ge&#x017F;agt (denn ich kann nicht)<lb/>
vom Garten des Endes, dem verblu&#x0364;henden Boden<lb/>
abgeblu&#x0364;hter abgelaubter Freudentage.</p><lb/>
            <p>Ueber die Stoppeln und u&#x0364;ber die Puppen der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[441/0451] und gern die Augen ab und ſagte blos: »ſo wollen »wir denn auf die Inſel jetzt gehen — es wird »ſchon neun Uhr.» Wir giengen fern, fern vor der fleckigen Trauer¬ birke voruͤber, die ihr abgeriſſenes Laub der welken Huͤlle des großen Menſchen nachwarf. Viktor konnte vor Schmerz nicht hinuͤberſehen; aber ich blickte mit einem kalten Zittern nach ihrem Schwan¬ ken im heitern Nachthimmel. Erſt ſeit einigen Ta¬ gen, wo Viktor gluͤcklicher geworden war, hatte ſich der Staub Emanuels gleichſam wieder in eine blaſſe Geſtalt zuſammengezogen und ſich auf das Todten¬ gruͤn herausgeſtellt und die Arme weit fuͤr ſeinen al¬ ten Liebling aufgethan — und Viktor jammerte und ſchmachtete und wollte vergeblich ſich ſterbend an den weißen Schatten preſſen. Er laͤchelte ſchmerzlich, da er uns und ſich durch die Worte zerſtreuen wollte: »der naͤrriſche Menſch »duckt (buͤckt) ſich wie ein Vogel, wenn nur das »Ungluͤck von weitem auf ihn zugeht.» Seine Thraͤ¬ nen machten ihn zum Blinden und ich und Flamin waren ſeine Fuͤhrer, dennoch gruͤßte er in ſeinem Schmerze einen Nachtboten. Ich habe nichts geſagt (denn ich kann nicht) vom Garten des Endes, dem verbluͤhenden Boden abgebluͤhter abgelaubter Freudentage. Ueber die Stoppeln und uͤber die Puppen der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/451
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/451>, abgerufen am 23.11.2024.