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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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Um sieben Uhr Nachts ging er wie das Meer
von Osten nach Westen. Orion, Kastor und Andro¬
meda blinken in Westen nicht weit vom Abendroth
über den Gefilden der Geliebten und werden wie
diese bald aus einem Himmel in den andern unter¬
gehen. Das von lauter Hoffnungen erschütterte
Herz, seine erhitzten Gehirnkammern, an denen
das mit sympathetischer Dinte gezeichnete Mai¬
enthal immer lichter und farbiger vortrat, dieses
innere halb schmerzliche Charivari und Schellenge¬
läute der Freude raubte ihm anfangs das Vermögen,
den in griechischer Schönheit aufgebaueten Frühlings¬
tempel in eine stille helle Seele aufzufassen. Die
Natur und die Kunst werden nur mit einem reinen
Auge aus dem die zwei Arten von Thränen wegge¬
wischet sind, am besten genoßen.

Aber endlich überdeckte das ausgebreitete Nacht¬
stück
seine heissen Fieberbilder und der Himmel
drang mit seinen Lichtern und die Erde mit ihren
Schatten in sein erweitertes Herz. Die Nacht war
ohne Mondlicht, aber ohne Wolken. Der Tempel
der Natur war wie andere Tempel erhaben verdun¬
kelt. -- -- Er konnte sich aus den Laufgräben lan¬
ger Thäler, aus Wälder-Souterrains und aus dem
schillernden Nebel seiner Träume und der Wiesen
nicht eher erheben als in der Mitternachtsstunde,
wo er einen Berg wie einen Thron bestieg und sich

Um ſieben Uhr Nachts ging er wie das Meer
von Oſten nach Weſten. Orion, Kaſtor und Andro¬
meda blinken in Weſten nicht weit vom Abendroth
uͤber den Gefilden der Geliebten und werden wie
dieſe bald aus einem Himmel in den andern unter¬
gehen. Das von lauter Hoffnungen erſchuͤtterte
Herz, ſeine erhitzten Gehirnkammern, an denen
das mit ſympathetiſcher Dinte gezeichnete Mai¬
enthal immer lichter und farbiger vortrat, dieſes
innere halb ſchmerzliche Charivari und Schellenge¬
laͤute der Freude raubte ihm anfangs das Vermoͤgen,
den in griechiſcher Schoͤnheit aufgebaueten Fruͤhlings¬
tempel in eine ſtille helle Seele aufzufaſſen. Die
Natur und die Kunſt werden nur mit einem reinen
Auge aus dem die zwei Arten von Thraͤnen wegge¬
wiſchet ſind, am beſten genoßen.

Aber endlich uͤberdeckte das ausgebreitete Nacht¬
ſtuͤck
ſeine heiſſen Fieberbilder und der Himmel
drang mit ſeinen Lichtern und die Erde mit ihren
Schatten in ſein erweitertes Herz. Die Nacht war
ohne Mondlicht, aber ohne Wolken. Der Tempel
der Natur war wie andere Tempel erhaben verdun¬
kelt. — — Er konnte ſich aus den Laufgraͤben lan¬
ger Thaͤler, aus Waͤlder-Souterrains und aus dem
ſchillernden Nebel ſeiner Traͤume und der Wieſen
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[61/0071] Um ſieben Uhr Nachts ging er wie das Meer von Oſten nach Weſten. Orion, Kaſtor und Andro¬ meda blinken in Weſten nicht weit vom Abendroth uͤber den Gefilden der Geliebten und werden wie dieſe bald aus einem Himmel in den andern unter¬ gehen. Das von lauter Hoffnungen erſchuͤtterte Herz, ſeine erhitzten Gehirnkammern, an denen das mit ſympathetiſcher Dinte gezeichnete Mai¬ enthal immer lichter und farbiger vortrat, dieſes innere halb ſchmerzliche Charivari und Schellenge¬ laͤute der Freude raubte ihm anfangs das Vermoͤgen, den in griechiſcher Schoͤnheit aufgebaueten Fruͤhlings¬ tempel in eine ſtille helle Seele aufzufaſſen. Die Natur und die Kunſt werden nur mit einem reinen Auge aus dem die zwei Arten von Thraͤnen wegge¬ wiſchet ſind, am beſten genoßen. Aber endlich uͤberdeckte das ausgebreitete Nacht¬ ſtuͤck ſeine heiſſen Fieberbilder und der Himmel drang mit ſeinen Lichtern und die Erde mit ihren Schatten in ſein erweitertes Herz. Die Nacht war ohne Mondlicht, aber ohne Wolken. Der Tempel der Natur war wie andere Tempel erhaben verdun¬ kelt. — — Er konnte ſich aus den Laufgraͤben lan¬ ger Thaͤler, aus Waͤlder-Souterrains und aus dem ſchillernden Nebel ſeiner Traͤume und der Wieſen nicht eher erheben als in der Mitternachtsſtunde, wo er einen Berg wie einen Thron beſtieg und ſich

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/71>, abgerufen am 26.11.2024.