Der Edelmann brauchte kaum die Hälfte sei- ner feinen Fühlhörner auszustrecken, um es den Doktor abzufühlen, daß er mit seinem ver- schränkten Gesichte eben so gut unter dem Bal- biermesser freundlich lächeln könnte, als unter ei- nem für ihn so widerhaarigen Gespräche; er that daher -- um allerley aus ihm heraus zu reitzen, worüber er bey der künftigen Erkennungsscene recht erröthen sollte -- die Frage an ihn, was er seines Orts vom Dichter für das Schlechteste halte. "Alles, versetzte er, da ich die Schnur- ren noch nicht gelesen. Mich wunderts am mei- sten, daß er als Edelmann und Reicher etwas schreibt; sonst taugen in Papiermühlen wohl die groben Lumpen zu Papier, aber nicht die seid- nen." Nieß fragte: ob er nicht in der Jugend Verse gemacht? "Pope--gab er zur Antwort -- entsann sich der Zeit nicht, wo er keine geschmie- det, ich erinnere mich derjenigen nicht, wo ich dergleichen geschaffen hätte. Nur einmal mag ich als verliebtet Geßners Schäfer und Prima- ner, so wie in Krankheiten sogar die Venen pul- sieren, in Poetasterei hineingerathen seyn, vor
Der Edelmann brauchte kaum die Haͤlfte ſei- ner feinen Fuͤhlhoͤrner auszuſtrecken, um es den Doktor abzufuͤhlen, daß er mit ſeinem ver- ſchraͤnkten Geſichte eben ſo gut unter dem Bal- biermeſſer freundlich laͤcheln koͤnnte, als unter ei- nem fuͤr ihn ſo widerhaarigen Geſpraͤche; er that daher — um allerley aus ihm heraus zu reitzen, woruͤber er bey der künftigen Erkennungsſcene recht erroͤthen ſollte — die Frage an ihn, was er ſeines Orts vom Dichter fuͤr das Schlechteſte halte. „Alles, verſetzte er, da ich die Schnur- ren noch nicht geleſen. Mich wunderts am mei- ſten, daß er als Edelmann und Reicher etwas ſchreibt; ſonſt taugen in Papiermuͤhlen wohl die groben Lumpen zu Papier, aber nicht die ſeid- nen.” Nieß fragte: ob er nicht in der Jugend Verſe gemacht? „Pope—gab er zur Antwort — entſann ſich der Zeit nicht, wo er keine geſchmie- det, ich erinnere mich derjenigen nicht, wo ich dergleichen geſchaffen haͤtte. Nur einmal mag ich als verliebtet Geßners Schaͤfer und Prima- ner, ſo wie in Krankheiten ſogar die Venen pul- ſieren, in Poetaſterei hineingerathen ſeyn, vor
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Der Edelmann brauchte kaum die Haͤlfte ſei-
ner feinen Fuͤhlhoͤrner auszuſtrecken, um es
den Doktor abzufuͤhlen, daß er mit ſeinem ver-
ſchraͤnkten Geſichte eben ſo gut unter dem Bal-
biermeſſer freundlich laͤcheln koͤnnte, als unter ei-
nem fuͤr ihn ſo widerhaarigen Geſpraͤche; er that
daher — um allerley aus ihm heraus zu reitzen,
woruͤber er bey der künftigen Erkennungsſcene
recht erroͤthen ſollte — die Frage an ihn, was
er ſeines Orts vom Dichter fuͤr das Schlechteſte
halte. „Alles, verſetzte er, da ich die Schnur-
ren noch nicht geleſen. Mich wunderts am mei-
ſten, daß er als Edelmann und Reicher etwas
ſchreibt; ſonſt taugen in Papiermuͤhlen wohl die
groben Lumpen zu Papier, aber nicht die ſeid-
nen.” Nieß fragte: ob er nicht in der Jugend
Verſe gemacht? „Pope—gab er zur Antwort —
entſann ſich der Zeit nicht, wo er keine geſchmie-
det, ich erinnere mich derjenigen nicht, wo ich
dergleichen geſchaffen haͤtte. Nur einmal mag
ich als verliebtet Geßners Schaͤfer und Prima-
ner, ſo wie in Krankheiten ſogar die Venen pul-
ſieren, in Poetaſterei hineingerathen ſeyn, vor
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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger01_1809/56>, abgerufen am 23.11.2024.
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