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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809.

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Die Treue.

O ich wohne ja in Deinem Auge, sagte
der kleine Bruder als er sich im schwesterlichen
erblickte. "Und ich wohne gar in Deinem!"
sagte die Schwester. -- "Gewiß, so lange Ihr
euch seht, dachte der Vater, denn die Augen
der Menschen sind ihren Herzen ähnlich."


Die Hof- und die Landtrauer.

Nur der Hof und Große dürfen um einen
Fürsten öffentlich trauern; nun so sey es um
einen Bösen. Aber den Landesvater beweine
das ganze Land. Das ärmste Kind ist ja
seine Waise.


Der Dichter.

Wohl habe ich Früchte und Blumen zu-
sammengebunden, wie im Blüten-Strauße
auch die reife Pomeranze erscheint; aber auch
die Frucht ist nur Blüte und der Herbst duf-
tet mit dem Frühling zugleich.


Der ächte Dichter.

Der Biene gleich, welche zugleich aus der
Blume und an dem Honig saugt, und aus
jedem Honig neuen schafft, genießet er Freu-
den und Gedichte -- und gibt uns Beyde als
neue Gedichte zurück.

Die Treue.

O ich wohne ja in Deinem Auge, ſagte
der kleine Bruder als er ſich im ſchweſterlichen
erblickte. „Und ich wohne gar in Deinem!„
ſagte die Schweſter. — „Gewiß, ſo lange Ihr
euch ſeht, dachte der Vater, denn die Augen
der Menſchen ſind ihren Herzen ähnlich.“


Die Hof- und die Landtrauer.

Nur der Hof und Große duͤrfen um einen
Fuͤrſten oͤffentlich trauern; nun ſo ſey es um
einen Boͤſen. Aber den Landesvater beweine
das ganze Land. Das aͤrmſte Kind iſt ja
ſeine Waiſe.


Der Dichter.

Wohl habe ich Fruͤchte und Blumen zu-
ſammengebunden, wie im Bluͤten-Strauße
auch die reife Pomeranze erſcheint; aber auch
die Frucht iſt nur Bluͤte und der Herbſt duf-
tet mit dem Fruͤhling zugleich.


Der ächte Dichter.

Der Biene gleich, welche zugleich aus der
Blume und an dem Honig ſaugt, und aus
jedem Honig neuen ſchafft, genießet er Freu-
den und Gedichte — und gibt uns Beyde als
neue Gedichte zuruͤck.

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[286/0292] Die Treue. O ich wohne ja in Deinem Auge, ſagte der kleine Bruder als er ſich im ſchweſterlichen erblickte. „Und ich wohne gar in Deinem!„ ſagte die Schweſter. — „Gewiß, ſo lange Ihr euch ſeht, dachte der Vater, denn die Augen der Menſchen ſind ihren Herzen ähnlich.“ Die Hof- und die Landtrauer. Nur der Hof und Große duͤrfen um einen Fuͤrſten oͤffentlich trauern; nun ſo ſey es um einen Boͤſen. Aber den Landesvater beweine das ganze Land. Das aͤrmſte Kind iſt ja ſeine Waiſe. Der Dichter. Wohl habe ich Fruͤchte und Blumen zu- ſammengebunden, wie im Bluͤten-Strauße auch die reife Pomeranze erſcheint; aber auch die Frucht iſt nur Bluͤte und der Herbſt duf- tet mit dem Fruͤhling zugleich. Der ächte Dichter. Der Biene gleich, welche zugleich aus der Blume und an dem Honig ſaugt, und aus jedem Honig neuen ſchafft, genießet er Freu- den und Gedichte — und gibt uns Beyde als neue Gedichte zuruͤck.

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/292>, abgerufen am 24.11.2024.