hinüber und herüber zwischen dem Lamme, dem hellen Blumengrund mit der Schatten-Landspitze und zwischen dem magischen Gesichte der Regina und braucht nirgends wegzublicken.
Warum sagt' ich ein magisches Gesicht, da es ein altägliches war? -- weil mein kleiner Apollo und Schaafhirt mit trinkenden Augen auf dieses Gesicht wie auf eine Blume flog. Unter einer Hirnschaale wie seiner, zu der den ganzen Tag die weiße Flamme der Phantasie, und kein blaues Brandtewein-Flämmgen des Phlegma, auffackelte, muste jedes weibliche Gesicht mit vergüldeten Rei¬ zen in Götterfarbe und nicht in Todtenfarbe da¬ stehen. Alle Schönen hatten bei ihm den Vortheil noch, daß er sie nicht seit 10 Jahren sondern seit 10 Tagen sah. Indessen ist das nicht seine erste Liebe, sondern nur ein Präliminar-Rezeß, eine Ouverture, ein Protevangelium irgend einer er¬ sten Liebe, mehr nicht.
Zwei ganze Wochen trieb er sein Lamm auf die Weide, eh' sein Muth so weit stieg, daß er -- nicht sich neben ihr Strickzeug hinsetzte, das überstieg Menschenkräfte, sondern nur daß er -- das Schaaf an seinem postillon d'amour fest hielt,
hinuͤber und heruͤber zwiſchen dem Lamme, dem hellen Blumengrund mit der Schatten-Landſpitze und zwiſchen dem magiſchen Geſichte der Regina und braucht nirgends wegzublicken.
Warum ſagt' ich ein magiſches Geſicht, da es ein altaͤgliches war? — weil mein kleiner Apollo und Schaafhirt mit trinkenden Augen auf dieſes Geſicht wie auf eine Blume flog. Unter einer Hirnſchaale wie ſeiner, zu der den ganzen Tag die weiße Flamme der Phantaſie, und kein blaues Brandtewein-Flaͤmmgen des Phlegma, auffackelte, muſte jedes weibliche Geſicht mit verguͤldeten Rei¬ zen in Goͤtterfarbe und nicht in Todtenfarbe da¬ ſtehen. Alle Schoͤnen hatten bei ihm den Vortheil noch, daß er ſie nicht ſeit 10 Jahren ſondern ſeit 10 Tagen ſah. Indeſſen iſt das nicht ſeine erſte Liebe, ſondern nur ein Praͤliminar-Rezeß, eine Ouverture, ein Protevangelium irgend einer er¬ ſten Liebe, mehr nicht.
Zwei ganze Wochen trieb er ſein Lamm auf die Weide, eh' ſein Muth ſo weit ſtieg, daß er — nicht ſich neben ihr Strickzeug hinſetzte, das uͤberſtieg Menſchenkraͤfte, ſondern nur daß er — das Schaaf an ſeinem poſtillon d'amour feſt hielt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0126"n="90"/>
hinuͤber und heruͤber zwiſchen dem Lamme, dem<lb/>
hellen Blumengrund mit der Schatten-Landſpitze<lb/>
und zwiſchen dem magiſchen Geſichte der Regina<lb/>
und braucht nirgends wegzublicken.</p><lb/><p>Warum ſagt' ich ein magiſches Geſicht, da<lb/>
es ein altaͤgliches war? — weil mein kleiner Apollo<lb/>
und Schaafhirt mit trinkenden Augen auf dieſes<lb/>
Geſicht wie auf eine Blume flog. Unter einer<lb/>
Hirnſchaale wie ſeiner, zu der den ganzen Tag<lb/>
die weiße Flamme der Phantaſie, und kein blaues<lb/>
Brandtewein-Flaͤmmgen des Phlegma, auffackelte,<lb/>
muſte jedes weibliche Geſicht mit verguͤldeten Rei¬<lb/>
zen in Goͤtterfarbe und nicht in Todtenfarbe da¬<lb/>ſtehen. Alle Schoͤnen hatten bei ihm den Vortheil<lb/>
noch, daß er ſie nicht ſeit 10 Jahren ſondern ſeit<lb/>
10 Tagen ſah. Indeſſen iſt das nicht ſeine erſte<lb/>
Liebe, ſondern nur ein Praͤliminar-Rezeß, eine<lb/>
Ouverture, ein Protevangelium irgend einer er¬<lb/>ſten Liebe, mehr nicht.</p><lb/><p>Zwei ganze Wochen trieb er ſein Lamm auf<lb/>
die Weide, eh' ſein Muth ſo weit ſtieg, daß er<lb/>— nicht ſich neben ihr Strickzeug hinſetzte, das<lb/>
uͤberſtieg Menſchenkraͤfte, ſondern nur daß er —<lb/>
das Schaaf an ſeinem <hirendition="#aq">poſtillon d'amour</hi> feſt hielt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[90/0126]
hinuͤber und heruͤber zwiſchen dem Lamme, dem
hellen Blumengrund mit der Schatten-Landſpitze
und zwiſchen dem magiſchen Geſichte der Regina
und braucht nirgends wegzublicken.
Warum ſagt' ich ein magiſches Geſicht, da
es ein altaͤgliches war? — weil mein kleiner Apollo
und Schaafhirt mit trinkenden Augen auf dieſes
Geſicht wie auf eine Blume flog. Unter einer
Hirnſchaale wie ſeiner, zu der den ganzen Tag
die weiße Flamme der Phantaſie, und kein blaues
Brandtewein-Flaͤmmgen des Phlegma, auffackelte,
muſte jedes weibliche Geſicht mit verguͤldeten Rei¬
zen in Goͤtterfarbe und nicht in Todtenfarbe da¬
ſtehen. Alle Schoͤnen hatten bei ihm den Vortheil
noch, daß er ſie nicht ſeit 10 Jahren ſondern ſeit
10 Tagen ſah. Indeſſen iſt das nicht ſeine erſte
Liebe, ſondern nur ein Praͤliminar-Rezeß, eine
Ouverture, ein Protevangelium irgend einer er¬
ſten Liebe, mehr nicht.
Zwei ganze Wochen trieb er ſein Lamm auf
die Weide, eh' ſein Muth ſo weit ſtieg, daß er
— nicht ſich neben ihr Strickzeug hinſetzte, das
uͤberſtieg Menſchenkraͤfte, ſondern nur daß er —
das Schaaf an ſeinem poſtillon d'amour feſt hielt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/126>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.