Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Land dem Kaiser nachzuniesen pflegt: so gehe man
nach Altscheerau, wo es noch viel besser ist; um
die nämliche Minute müssen alle Gassen weinen,
husten, beten, laxiren, hassen und pissen -- ihre
Konduitenliste sieht wie eine Partitur aus, aus der
alle das nämliche Stück, nur mit verschiednen In¬
strumenten und Stimmen spielen -- blos in der
Musik regiert sie einiger wahre Freiheitsgeist und
keiner bindet seinen Ellen- oder Fidelbogen oder
Tangenten sklavisch an seines Nachbars seinen --
sie hassen schöne Wissenschaften so sehr wie sich un¬
ter einander -- unfähig, gesellschaftliches Vergnü¬
gen zu entbehren, zu veranstalten, zu geniessen,
unfähig zu wagen, einander offen zu hassen und
zu lieben und zu ertragen, bohren sie sich in ihre
Geldhügel und achten öffentlich den Reichsten und
geheim den Verwandten oder gar niemand -- ohne
Geschmack und ohne Patriotismus und ohne Lek¬
türe . . . .

Ich mach' es aber gar zu toll: kein Leser wird
hinter dem Rittmeister einen Fuß nach Unterschee¬
rau setzen wollen. Ihr größter Fehler ist, daß sie
nichts taugen; aber sonst sind sie fleißig, voll lau¬
ter Kaufleute, frugal und fegen die Gassen und

Land dem Kaiſer nachzunieſen pflegt: ſo gehe man
nach Altſcheerau, wo es noch viel beſſer iſt; um
die naͤmliche Minute muͤſſen alle Gaſſen weinen,
huſten, beten, laxiren, haſſen und piſſen — ihre
Konduitenliſte ſieht wie eine Partitur aus, aus der
alle das naͤmliche Stuͤck, nur mit verſchiednen In¬
ſtrumenten und Stimmen ſpielen — blos in der
Muſik regiert ſie einiger wahre Freiheitsgeiſt und
keiner bindet ſeinen Ellen- oder Fidelbogen oder
Tangenten ſklaviſch an ſeines Nachbars ſeinen —
ſie haſſen ſchoͤne Wiſſenſchaften ſo ſehr wie ſich un¬
ter einander — unfaͤhig, geſellſchaftliches Vergnuͤ¬
gen zu entbehren, zu veranſtalten, zu genieſſen,
unfaͤhig zu wagen, einander offen zu haſſen und
zu lieben und zu ertragen, bohren ſie ſich in ihre
Geldhuͤgel und achten oͤffentlich den Reichſten und
geheim den Verwandten oder gar niemand — ohne
Geſchmack und ohne Patriotiſmus und ohne Lek¬
tuͤre . . . .

Ich mach' es aber gar zu toll: kein Leſer wird
hinter dem Rittmeiſter einen Fuß nach Unterſchee¬
rau ſetzen wollen. Ihr groͤßter Fehler iſt, daß ſie
nichts taugen; aber ſonſt ſind ſie fleißig, voll lau¬
ter Kaufleute, frugal und fegen die Gaſſen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0154" n="118"/>
Land dem Kai&#x017F;er nachzunie&#x017F;en pflegt: &#x017F;o gehe man<lb/>
nach Alt&#x017F;cheerau, wo es noch viel be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t; um<lb/>
die na&#x0364;mliche Minute mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en alle Ga&#x017F;&#x017F;en weinen,<lb/>
hu&#x017F;ten, beten, laxiren, ha&#x017F;&#x017F;en und pi&#x017F;&#x017F;en &#x2014; ihre<lb/>
Konduitenli&#x017F;te &#x017F;ieht wie eine Partitur aus, aus der<lb/>
alle das na&#x0364;mliche Stu&#x0364;ck, nur mit ver&#x017F;chiednen In¬<lb/>
&#x017F;trumenten und Stimmen &#x017F;pielen &#x2014; blos in der<lb/>
Mu&#x017F;ik regiert &#x017F;ie einiger wahre Freiheitsgei&#x017F;t und<lb/>
keiner bindet &#x017F;einen Ellen- oder Fidelbogen oder<lb/>
Tangenten &#x017F;klavi&#x017F;ch an &#x017F;eines Nachbars &#x017F;einen &#x2014;<lb/>
&#x017F;ie ha&#x017F;&#x017F;en &#x017F;cho&#x0364;ne Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften &#x017F;o &#x017F;ehr wie &#x017F;ich un¬<lb/>
ter einander &#x2014; unfa&#x0364;hig, ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliches Vergnu&#x0364;¬<lb/>
gen zu entbehren, zu veran&#x017F;talten, zu genie&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
unfa&#x0364;hig zu wagen, einander offen zu ha&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
zu lieben und zu ertragen, bohren &#x017F;ie &#x017F;ich in ihre<lb/>
Geldhu&#x0364;gel und achten o&#x0364;ffentlich den Reich&#x017F;ten und<lb/>
geheim den Verwandten oder gar niemand &#x2014; ohne<lb/>
Ge&#x017F;chmack und ohne Patrioti&#x017F;mus und ohne Lek¬<lb/>
tu&#x0364;re . . . .</p><lb/>
          <p>Ich mach' es aber gar zu toll: kein Le&#x017F;er wird<lb/>
hinter dem Rittmei&#x017F;ter einen Fuß nach Unter&#x017F;chee¬<lb/>
rau &#x017F;etzen wollen. Ihr gro&#x0364;ßter Fehler i&#x017F;t, daß &#x017F;ie<lb/>
nichts taugen; aber &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ind &#x017F;ie fleißig, voll lau¬<lb/>
ter Kaufleute, frugal und fegen die Ga&#x017F;&#x017F;en und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0154] Land dem Kaiſer nachzunieſen pflegt: ſo gehe man nach Altſcheerau, wo es noch viel beſſer iſt; um die naͤmliche Minute muͤſſen alle Gaſſen weinen, huſten, beten, laxiren, haſſen und piſſen — ihre Konduitenliſte ſieht wie eine Partitur aus, aus der alle das naͤmliche Stuͤck, nur mit verſchiednen In¬ ſtrumenten und Stimmen ſpielen — blos in der Muſik regiert ſie einiger wahre Freiheitsgeiſt und keiner bindet ſeinen Ellen- oder Fidelbogen oder Tangenten ſklaviſch an ſeines Nachbars ſeinen — ſie haſſen ſchoͤne Wiſſenſchaften ſo ſehr wie ſich un¬ ter einander — unfaͤhig, geſellſchaftliches Vergnuͤ¬ gen zu entbehren, zu veranſtalten, zu genieſſen, unfaͤhig zu wagen, einander offen zu haſſen und zu lieben und zu ertragen, bohren ſie ſich in ihre Geldhuͤgel und achten oͤffentlich den Reichſten und geheim den Verwandten oder gar niemand — ohne Geſchmack und ohne Patriotiſmus und ohne Lek¬ tuͤre . . . . Ich mach' es aber gar zu toll: kein Leſer wird hinter dem Rittmeiſter einen Fuß nach Unterſchee¬ rau ſetzen wollen. Ihr groͤßter Fehler iſt, daß ſie nichts taugen; aber ſonſt ſind ſie fleißig, voll lau¬ ter Kaufleute, frugal und fegen die Gaſſen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/154
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/154>, abgerufen am 24.11.2024.