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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Räderwerk immer schneller zu gehen zwingt -- weil
er durch Erfinden Liebe und Herrschaft über die
Ideen giebt -- weil fremder und eigner uns in diesen
frühen Jahren am meisten mit seinem Glanze ent¬
zückt. Warum haben wir so wenig Erfinder und so
viele Gelehrte, in deren Kopfe lauter unbewegli¬
che
Güter liegen, in denen die Begriffe jeder Wis¬
senschaft Klubweise auseinander gesperrt in Karthau¬
se wohnen so daß wenn der Mann über eine Wissen¬
schaft schreibt, er sich auf nichts besinnt, was er in
der andern weiß? -- bloß weil man die Kinder mehr
Ideen als die Handhabung der Ideen lehrt und weil
ihre Gedanken in der Schule so unbeweglich fixirt
seyn sollen wie ihr Steis.

Man sollte Schlötzers Hand in der Geschichte
auch in andern Wissenschaften nachahmen. Ich ge¬
wöhnte meinen Gustav an, die Aehnlichkeiten aus
entlegnen Wissenschaften anzuhören, zu verstehen
und dadurch -- selber zu erfinden. Z. B. alles
Große oder Wichtige bewegt sich langsam: also gehen
gar nicht die orientalischen Fürsten -- der Dalai Lama
-- die Sonne -- der Seekrabben; weise Griechen
giengen (nach Winkelmann) langsam, ferner das
Stundenrad, der Ozean, die Wolken bei schönem

Raͤderwerk immer ſchneller zu gehen zwingt — weil
er durch Erfinden Liebe und Herrſchaft uͤber die
Ideen giebt — weil fremder und eigner uns in dieſen
fruͤhen Jahren am meiſten mit ſeinem Glanze ent¬
zuͤckt. Warum haben wir ſo wenig Erfinder und ſo
viele Gelehrte, in deren Kopfe lauter unbewegli¬
che
Guͤter liegen, in denen die Begriffe jeder Wiſ¬
ſenſchaft Klubweiſe auseinander geſperrt in Karthau¬
ſe wohnen ſo daß wenn der Mann uͤber eine Wiſſen¬
ſchaft ſchreibt, er ſich auf nichts beſinnt, was er in
der andern weiß? — bloß weil man die Kinder mehr
Ideen als die Handhabung der Ideen lehrt und weil
ihre Gedanken in der Schule ſo unbeweglich fixirt
ſeyn ſollen wie ihr Steis.

Man ſollte Schloͤtzers Hand in der Geſchichte
auch in andern Wiſſenſchaften nachahmen. Ich ge¬
woͤhnte meinen Guſtav an, die Aehnlichkeiten aus
entlegnen Wiſſenſchaften anzuhoͤren, zu verſtehen
und dadurch — ſelber zu erfinden. Z. B. alles
Große oder Wichtige bewegt ſich langſam: alſo gehen
gar nicht die orientaliſchen Fuͤrſten — der Dalai Lama
— die Sonne — der Seekrabben; weiſe Griechen
giengen (nach Winkelmann) langſam, ferner das
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[201/0237] Raͤderwerk immer ſchneller zu gehen zwingt — weil er durch Erfinden Liebe und Herrſchaft uͤber die Ideen giebt — weil fremder und eigner uns in dieſen fruͤhen Jahren am meiſten mit ſeinem Glanze ent¬ zuͤckt. Warum haben wir ſo wenig Erfinder und ſo viele Gelehrte, in deren Kopfe lauter unbewegli¬ che Guͤter liegen, in denen die Begriffe jeder Wiſ¬ ſenſchaft Klubweiſe auseinander geſperrt in Karthau¬ ſe wohnen ſo daß wenn der Mann uͤber eine Wiſſen¬ ſchaft ſchreibt, er ſich auf nichts beſinnt, was er in der andern weiß? — bloß weil man die Kinder mehr Ideen als die Handhabung der Ideen lehrt und weil ihre Gedanken in der Schule ſo unbeweglich fixirt ſeyn ſollen wie ihr Steis. Man ſollte Schloͤtzers Hand in der Geſchichte auch in andern Wiſſenſchaften nachahmen. Ich ge¬ woͤhnte meinen Guſtav an, die Aehnlichkeiten aus entlegnen Wiſſenſchaften anzuhoͤren, zu verſtehen und dadurch — ſelber zu erfinden. Z. B. alles Große oder Wichtige bewegt ſich langſam: alſo gehen gar nicht die orientaliſchen Fuͤrſten — der Dalai Lama — die Sonne — der Seekrabben; weiſe Griechen giengen (nach Winkelmann) langſam, ferner das Stundenrad, der Ozean, die Wolken bei ſchoͤnem

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/237>, abgerufen am 21.11.2024.