Ich würde manchen deutschen Kreis auf die Vermuthung einer heimlichen Eifersucht bringen, wenn ich gar nichts zum Lobe Oefels sagte: er ver¬ sprach am nämlichen Nachmittag meinem Eleven ei¬ nen großen Dienst. Er hielt sich nämlich, ob er gleich das alte Schloß neben der Residentin zur Miethe hatte, nicht darin sondern im Scheerauer Kadettenhause auf und rückte von Zimmer zu Zim¬ mer, um -- da ihm sein hoher Stand verbot, sich sonderbar zu kleiden -- wenigstens sonderbar zu han¬ deln: er wollte da Menschen studiren, um sie in Kup¬ fer stechen zu lassen. Er setzte nämlich einen Ro¬ man als eine kurze Encyklopädie für Erbprinzen und Kronhofmeister auf und schrieb auf den Titel "der Großsultan" -- dieser Fenelon machte den Haram seines Telemachs zu einem Spiegelzimmer, das den ganzen weiblichen Scheerauer Hof reflektir¬ te, sein Werk war ein Herbarium vivum, eine Flora von allem was auf und am Scheerauer Thro¬ ne wächset, vom Fürsten an, bis, wenn er sich noch erinnert, zu mir. Wenn's erscheint, ver¬ schlingen wirs alle, weil er uns selber darin ver¬ verschlungen; die Rezensenten werden nichts darin fin¬ den und sagen längst, "triviales Zeug!" -- da er nichts
Ich wuͤrde manchen deutſchen Kreis auf die Vermuthung einer heimlichen Eiferſucht bringen, wenn ich gar nichts zum Lobe Oefels ſagte: er ver¬ ſprach am naͤmlichen Nachmittag meinem Eleven ei¬ nen großen Dienſt. Er hielt ſich naͤmlich, ob er gleich das alte Schloß neben der Reſidentin zur Miethe hatte, nicht darin ſondern im Scheerauer Kadettenhauſe auf und ruͤckte von Zimmer zu Zim¬ mer, um — da ihm ſein hoher Stand verbot, ſich ſonderbar zu kleiden — wenigſtens ſonderbar zu han¬ deln: er wollte da Menſchen ſtudiren, um ſie in Kup¬ fer ſtechen zu laſſen. Er ſetzte naͤmlich einen Ro¬ man als eine kurze Encyklopaͤdie fuͤr Erbprinzen und Kronhofmeiſter auf und ſchrieb auf den Titel „der Großſultan” — dieſer Fenelon machte den Haram ſeines Telemachs zu einem Spiegelzimmer, das den ganzen weiblichen Scheerauer Hof reflektir¬ te, ſein Werk war ein Herbarium vivum, eine Flora von allem was auf und am Scheerauer Thro¬ ne waͤchſet, vom Fuͤrſten an, bis, wenn er ſich noch erinnert, zu mir. Wenn's erſcheint, ver¬ ſchlingen wirs alle, weil er uns ſelber darin ver¬ verſchlungen; die Rezenſenten werden nichts darin fin¬ den und ſagen laͤngſt, „triviales Zeug!” — da er nichts
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0305"n="269"/><p>Ich wuͤrde manchen deutſchen Kreis auf die<lb/>
Vermuthung einer heimlichen Eiferſucht bringen,<lb/>
wenn ich gar nichts zum Lobe Oefels ſagte: er ver¬<lb/>ſprach am naͤmlichen Nachmittag meinem Eleven ei¬<lb/>
nen großen Dienſt. Er hielt ſich naͤmlich, ob er<lb/>
gleich das alte Schloß neben der Reſidentin zur<lb/>
Miethe hatte, nicht darin ſondern im Scheerauer<lb/>
Kadettenhauſe auf und ruͤckte von Zimmer zu Zim¬<lb/>
mer, um — da ihm ſein hoher Stand verbot, ſich<lb/>ſonderbar zu kleiden — wenigſtens ſonderbar zu han¬<lb/>
deln: er wollte da Menſchen ſtudiren, um ſie in Kup¬<lb/>
fer ſtechen zu laſſen. Er ſetzte naͤmlich einen Ro¬<lb/>
man als eine kurze Encyklopaͤdie fuͤr Erbprinzen<lb/>
und Kronhofmeiſter auf und ſchrieb auf den Titel<lb/>„der Großſultan”— dieſer Fenelon machte den<lb/>
Haram ſeines Telemachs zu einem Spiegelzimmer,<lb/>
das den ganzen weiblichen Scheerauer Hof reflektir¬<lb/>
te, ſein Werk war ein <hirendition="#aq">Herbarium vivum</hi>, eine<lb/>
Flora von allem was auf und am Scheerauer Thro¬<lb/>
ne waͤchſet, vom Fuͤrſten an, bis, wenn er ſich<lb/>
noch erinnert, zu mir. Wenn's erſcheint, ver¬<lb/>ſchlingen wirs alle, weil er uns ſelber darin ver¬<lb/>
verſchlungen; die Rezenſenten werden nichts darin fin¬<lb/>
den und ſagen laͤngſt, „triviales Zeug!”— da er nichts<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[269/0305]
Ich wuͤrde manchen deutſchen Kreis auf die
Vermuthung einer heimlichen Eiferſucht bringen,
wenn ich gar nichts zum Lobe Oefels ſagte: er ver¬
ſprach am naͤmlichen Nachmittag meinem Eleven ei¬
nen großen Dienſt. Er hielt ſich naͤmlich, ob er
gleich das alte Schloß neben der Reſidentin zur
Miethe hatte, nicht darin ſondern im Scheerauer
Kadettenhauſe auf und ruͤckte von Zimmer zu Zim¬
mer, um — da ihm ſein hoher Stand verbot, ſich
ſonderbar zu kleiden — wenigſtens ſonderbar zu han¬
deln: er wollte da Menſchen ſtudiren, um ſie in Kup¬
fer ſtechen zu laſſen. Er ſetzte naͤmlich einen Ro¬
man als eine kurze Encyklopaͤdie fuͤr Erbprinzen
und Kronhofmeiſter auf und ſchrieb auf den Titel
„der Großſultan” — dieſer Fenelon machte den
Haram ſeines Telemachs zu einem Spiegelzimmer,
das den ganzen weiblichen Scheerauer Hof reflektir¬
te, ſein Werk war ein Herbarium vivum, eine
Flora von allem was auf und am Scheerauer Thro¬
ne waͤchſet, vom Fuͤrſten an, bis, wenn er ſich
noch erinnert, zu mir. Wenn's erſcheint, ver¬
ſchlingen wirs alle, weil er uns ſelber darin ver¬
verſchlungen; die Rezenſenten werden nichts darin fin¬
den und ſagen laͤngſt, „triviales Zeug!” — da er nichts
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/305>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.