bloß die Liebe, sondern auch der Haß der Men¬ schen ist veränderlich und beide sterben, wenn sie nicht wachsen -- Die meisten reden bloß gegen die Laster, die sie selber haben -- je größer das Ge¬ nie, je schöner der Körper ist, desto mehr ver¬ zeiht ihnen die Welt; je größer die Tugend ist, desto weniger verzeiht sie ihr -- Jeder Jüngling denkt, keiner gleiche ihm in Gefühlen etc. aber alle Jünglinge gleichen sich -- Man muß sich nie ent¬ schuldigen; denn nicht die Vernunft, sondern die Leidenschaft des andern zürnt auf uns und gegen diese giebts keinen Grund als die Zeit -- die Men¬ schen lieben ihre Freuden mehr als ihr Glück, ei¬ nen guten Gesellschafter mehr als den Wohlthä¬ ter, Papagaien, Schooßhunde, Affen mehr als nützliche Lastthiere -- Man erräth die Menschen, wenn man ihnen keine Grundsätze zutraut; und der Argwöhnische hat allemal Recht, er erräth wenn nicht die Handlungen des andern doch seine Ge¬ danken; die Niederlagen des Schlimmen und die Versuchungen des Guten -- die Sünde ge¬ gen den H. Geist, die dir keiner vergiebt, ist die gegen seinen Geist, d.h. gegen seine Eitelkeit; und der Schmeichler gefället wenn nicht durch seine Ue¬ berzeugung doch durch seine Erniedrigung etc.
bloß die Liebe, ſondern auch der Haß der Men¬ ſchen iſt veraͤnderlich und beide ſterben, wenn ſie nicht wachſen — Die meiſten reden bloß gegen die Laſter, die ſie ſelber haben — je groͤßer das Ge¬ nie, je ſchoͤner der Koͤrper iſt, deſto mehr ver¬ zeiht ihnen die Welt; je groͤßer die Tugend iſt, deſto weniger verzeiht ſie ihr — Jeder Juͤngling denkt, keiner gleiche ihm in Gefuͤhlen ꝛc. aber alle Juͤnglinge gleichen ſich — Man muß ſich nie ent¬ ſchuldigen; denn nicht die Vernunft, ſondern die Leidenſchaft des andern zuͤrnt auf uns und gegen dieſe giebts keinen Grund als die Zeit — die Men¬ ſchen lieben ihre Freuden mehr als ihr Gluͤck, ei¬ nen guten Geſellſchafter mehr als den Wohlthaͤ¬ ter, Papagaien, Schooßhunde, Affen mehr als nuͤtzliche Laſtthiere — Man erraͤth die Menſchen, wenn man ihnen keine Grundſaͤtze zutraut; und der Argwoͤhniſche hat allemal Recht, er erraͤth wenn nicht die Handlungen des andern doch ſeine Ge¬ danken; die Niederlagen des Schlimmen und die Verſuchungen des Guten — die Suͤnde ge¬ gen den H. Geiſt, die dir keiner vergiebt, iſt die gegen ſeinen Geiſt, d.h. gegen ſeine Eitelkeit; und der Schmeichler gefaͤllet wenn nicht durch ſeine Ue¬ berzeugung doch durch ſeine Erniedrigung ꝛc.
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bloß die Liebe, ſondern auch der Haß der Men¬
ſchen iſt veraͤnderlich und beide ſterben, wenn ſie
nicht wachſen — Die meiſten reden bloß gegen die
Laſter, die ſie ſelber haben — je groͤßer das Ge¬
nie, je ſchoͤner der Koͤrper iſt, deſto mehr ver¬
zeiht ihnen die Welt; je groͤßer die Tugend iſt,
deſto weniger verzeiht ſie ihr — Jeder Juͤngling
denkt, keiner gleiche ihm in Gefuͤhlen ꝛc. aber alle
Juͤnglinge gleichen ſich — Man muß ſich nie ent¬
ſchuldigen; denn nicht die Vernunft, ſondern die
Leidenſchaft des andern zuͤrnt auf uns und gegen
dieſe giebts keinen Grund als die Zeit — die Men¬
ſchen lieben ihre Freuden mehr als ihr Gluͤck, ei¬
nen guten Geſellſchafter mehr als den Wohlthaͤ¬
ter, Papagaien, Schooßhunde, Affen mehr als
nuͤtzliche Laſtthiere — Man erraͤth die Menſchen,
wenn man ihnen keine Grundſaͤtze zutraut; und der
Argwoͤhniſche hat allemal Recht, er erraͤth wenn
nicht die Handlungen des andern doch ſeine Ge¬
danken; die Niederlagen des Schlimmen und
die Verſuchungen des Guten — die Suͤnde ge¬
gen den H. Geiſt, die dir keiner vergiebt, iſt die
gegen ſeinen Geiſt, d.h. gegen ſeine Eitelkeit; und
der Schmeichler gefaͤllet wenn nicht durch ſeine Ue¬
berzeugung doch durch ſeine Erniedrigung ꝛc.
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/320>, abgerufen am 21.11.2024.
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