Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

bloß die Liebe, sondern auch der Haß der Men¬
schen ist veränderlich und beide sterben, wenn sie
nicht wachsen -- Die meisten reden bloß gegen die
Laster, die sie selber haben -- je größer das Ge¬
nie, je schöner der Körper ist, desto mehr ver¬
zeiht ihnen die Welt; je größer die Tugend ist,
desto weniger verzeiht sie ihr -- Jeder Jüngling
denkt, keiner gleiche ihm in Gefühlen etc. aber alle
Jünglinge gleichen sich -- Man muß sich nie ent¬
schuldigen; denn nicht die Vernunft, sondern die
Leidenschaft des andern zürnt auf uns und gegen
diese giebts keinen Grund als die Zeit -- die Men¬
schen lieben ihre Freuden mehr als ihr Glück, ei¬
nen guten Gesellschafter mehr als den Wohlthä¬
ter, Papagaien, Schooßhunde, Affen mehr als
nützliche Lastthiere -- Man erräth die Menschen,
wenn man ihnen keine Grundsätze zutraut; und der
Argwöhnische hat allemal Recht, er erräth wenn
nicht die Handlungen des andern doch seine Ge¬
danken
; die Niederlagen des Schlimmen und
die Versuchungen des Guten -- die Sünde ge¬
gen den H. Geist, die dir keiner vergiebt, ist die
gegen seinen Geist, d.h. gegen seine Eitelkeit; und
der Schmeichler gefället wenn nicht durch seine Ue¬
berzeugung doch durch seine Erniedrigung etc.

bloß die Liebe, ſondern auch der Haß der Men¬
ſchen iſt veraͤnderlich und beide ſterben, wenn ſie
nicht wachſen — Die meiſten reden bloß gegen die
Laſter, die ſie ſelber haben — je groͤßer das Ge¬
nie, je ſchoͤner der Koͤrper iſt, deſto mehr ver¬
zeiht ihnen die Welt; je groͤßer die Tugend iſt,
deſto weniger verzeiht ſie ihr — Jeder Juͤngling
denkt, keiner gleiche ihm in Gefuͤhlen ꝛc. aber alle
Juͤnglinge gleichen ſich — Man muß ſich nie ent¬
ſchuldigen; denn nicht die Vernunft, ſondern die
Leidenſchaft des andern zuͤrnt auf uns und gegen
dieſe giebts keinen Grund als die Zeit — die Men¬
ſchen lieben ihre Freuden mehr als ihr Gluͤck, ei¬
nen guten Geſellſchafter mehr als den Wohlthaͤ¬
ter, Papagaien, Schooßhunde, Affen mehr als
nuͤtzliche Laſtthiere — Man erraͤth die Menſchen,
wenn man ihnen keine Grundſaͤtze zutraut; und der
Argwoͤhniſche hat allemal Recht, er erraͤth wenn
nicht die Handlungen des andern doch ſeine Ge¬
danken
; die Niederlagen des Schlimmen und
die Verſuchungen des Guten — die Suͤnde ge¬
gen den H. Geiſt, die dir keiner vergiebt, iſt die
gegen ſeinen Geiſt, d.h. gegen ſeine Eitelkeit; und
der Schmeichler gefaͤllet wenn nicht durch ſeine Ue¬
berzeugung doch durch ſeine Erniedrigung ꝛc.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0320" n="284"/>
bloß die Liebe, &#x017F;ondern auch der Haß der Men¬<lb/>
&#x017F;chen i&#x017F;t vera&#x0364;nderlich und beide &#x017F;terben, wenn &#x017F;ie<lb/>
nicht wach&#x017F;en &#x2014; Die mei&#x017F;ten reden bloß gegen die<lb/>
La&#x017F;ter, die &#x017F;ie &#x017F;elber haben &#x2014; je gro&#x0364;ßer das Ge¬<lb/>
nie, je &#x017F;cho&#x0364;ner der Ko&#x0364;rper i&#x017F;t, de&#x017F;to mehr ver¬<lb/>
zeiht ihnen die Welt; je gro&#x0364;ßer die Tugend i&#x017F;t,<lb/>
de&#x017F;to weniger verzeiht &#x017F;ie ihr &#x2014; Jeder Ju&#x0364;ngling<lb/>
denkt, keiner gleiche ihm in Gefu&#x0364;hlen &#xA75B;c. aber alle<lb/>
Ju&#x0364;nglinge gleichen &#x017F;ich &#x2014; Man muß &#x017F;ich nie ent¬<lb/>
&#x017F;chuldigen; denn nicht die Vernunft, &#x017F;ondern die<lb/>
Leiden&#x017F;chaft des andern zu&#x0364;rnt auf uns und gegen<lb/>
die&#x017F;e giebts keinen Grund als die Zeit &#x2014; die Men¬<lb/>
&#x017F;chen lieben ihre Freuden mehr als ihr Glu&#x0364;ck, ei¬<lb/>
nen guten Ge&#x017F;ell&#x017F;chafter mehr als den Wohltha&#x0364;¬<lb/>
ter, Papagaien, Schooßhunde, Affen mehr als<lb/>
nu&#x0364;tzliche La&#x017F;tthiere &#x2014; Man erra&#x0364;th die Men&#x017F;chen,<lb/>
wenn man ihnen keine Grund&#x017F;a&#x0364;tze zutraut; und der<lb/>
Argwo&#x0364;hni&#x017F;che hat allemal Recht, er erra&#x0364;th wenn<lb/>
nicht die <hi rendition="#g">Handlungen</hi> des andern doch &#x017F;eine <hi rendition="#g">Ge¬<lb/>
danken</hi>; die <hi rendition="#g">Niederlagen</hi> des Schlimmen und<lb/>
die <hi rendition="#g">Ver&#x017F;uchungen</hi> des Guten &#x2014; die Su&#x0364;nde ge¬<lb/>
gen den H. Gei&#x017F;t, die dir keiner vergiebt, i&#x017F;t die<lb/>
gegen &#x017F;einen Gei&#x017F;t, d.h. gegen &#x017F;eine Eitelkeit; und<lb/>
der Schmeichler gefa&#x0364;llet wenn nicht durch &#x017F;eine Ue¬<lb/>
berzeugung doch durch &#x017F;eine Erniedrigung &#xA75B;c.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0320] bloß die Liebe, ſondern auch der Haß der Men¬ ſchen iſt veraͤnderlich und beide ſterben, wenn ſie nicht wachſen — Die meiſten reden bloß gegen die Laſter, die ſie ſelber haben — je groͤßer das Ge¬ nie, je ſchoͤner der Koͤrper iſt, deſto mehr ver¬ zeiht ihnen die Welt; je groͤßer die Tugend iſt, deſto weniger verzeiht ſie ihr — Jeder Juͤngling denkt, keiner gleiche ihm in Gefuͤhlen ꝛc. aber alle Juͤnglinge gleichen ſich — Man muß ſich nie ent¬ ſchuldigen; denn nicht die Vernunft, ſondern die Leidenſchaft des andern zuͤrnt auf uns und gegen dieſe giebts keinen Grund als die Zeit — die Men¬ ſchen lieben ihre Freuden mehr als ihr Gluͤck, ei¬ nen guten Geſellſchafter mehr als den Wohlthaͤ¬ ter, Papagaien, Schooßhunde, Affen mehr als nuͤtzliche Laſtthiere — Man erraͤth die Menſchen, wenn man ihnen keine Grundſaͤtze zutraut; und der Argwoͤhniſche hat allemal Recht, er erraͤth wenn nicht die Handlungen des andern doch ſeine Ge¬ danken; die Niederlagen des Schlimmen und die Verſuchungen des Guten — die Suͤnde ge¬ gen den H. Geiſt, die dir keiner vergiebt, iſt die gegen ſeinen Geiſt, d.h. gegen ſeine Eitelkeit; und der Schmeichler gefaͤllet wenn nicht durch ſeine Ue¬ berzeugung doch durch ſeine Erniedrigung ꝛc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/320
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/320>, abgerufen am 21.11.2024.