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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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draths. -- Der zweite Grund war H. Fortins
(in Morhof. Polyhist. L. II. c. 8.) welcher Gelehr¬
ten anräth, alle halbe Jahre die Städte zu wech¬
seln, damit sie besser schrieben -- und in der
That schreibt man besser nach jeder Veränderung
und wärs die des Schreibepults. Ohne solche auf¬
frischende Luft schreibt sich die Seele so tief in ih¬
ren Holweg hinein, daß sie drinnen steckt ohne
Himmel und Erde zu sehen. Aus gegenwärtigem
Werke könnte vielleicht etwas werden; aber jeden
Monat und jeden Sektor muß ich in einer andern
Kajüte schreiben. --

Der dritte und vernünftigste Grund ist meine
Schwester: sie ist wieder von der Residentin von
Bouse zurück, erstlich meil sie ihre Stelle einer
schönen Bücherpatientin leer zu machen hatte der
guten Beata nämlich, die der Vater, der Dok¬
tor, der Liebhaber -- der dumme Oefel, er wird
aber gar nicht begünstigt -- endlich mitten in diese
Kulmination aller Freuden und Visiten hinberede¬
ten -- zweitens (ist meine Schwester da,) weil ichs
wollte: aber Schwester, Schwester, warum hab'
ich dich nicht eher aus diesem inkrustirenden Mine¬
ral-Strudel gerissen? warum hast du dich so ver

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draths. — Der zweite Grund war H. Fortins
(in Morhof. Polyhiſt. L. II. c. 8.) welcher Gelehr¬
ten anraͤth, alle halbe Jahre die Staͤdte zu wech¬
ſeln, damit ſie beſſer ſchrieben — und in der
That ſchreibt man beſſer nach jeder Veraͤnderung
und waͤrs die des Schreibepults. Ohne ſolche auf¬
friſchende Luft ſchreibt ſich die Seele ſo tief in ih¬
ren Holweg hinein, daß ſie drinnen ſteckt ohne
Himmel und Erde zu ſehen. Aus gegenwaͤrtigem
Werke koͤnnte vielleicht etwas werden; aber jeden
Monat und jeden Sektor muß ich in einer andern
Kajuͤte ſchreiben. —

Der dritte und vernuͤnftigſte Grund iſt meine
Schweſter: ſie iſt wieder von der Reſidentin von
Bouſe zuruͤck, erſtlich meil ſie ihre Stelle einer
ſchoͤnen Buͤcherpatientin leer zu machen hatte der
guten Beata naͤmlich, die der Vater, der Dok¬
tor, der Liebhaber — der dumme Oefel, er wird
aber gar nicht beguͤnſtigt — endlich mitten in dieſe
Kulmination aller Freuden und Viſiten hinberede¬
ten — zweitens (iſt meine Schweſter da,) weil ichs
wollte: aber Schweſter, Schweſter, warum hab'
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ral-Strudel geriſſen? warum haſt du dich ſo ver

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[291/0327] draths. — Der zweite Grund war H. Fortins (in Morhof. Polyhiſt. L. II. c. 8.) welcher Gelehr¬ ten anraͤth, alle halbe Jahre die Staͤdte zu wech¬ ſeln, damit ſie beſſer ſchrieben — und in der That ſchreibt man beſſer nach jeder Veraͤnderung und waͤrs die des Schreibepults. Ohne ſolche auf¬ friſchende Luft ſchreibt ſich die Seele ſo tief in ih¬ ren Holweg hinein, daß ſie drinnen ſteckt ohne Himmel und Erde zu ſehen. Aus gegenwaͤrtigem Werke koͤnnte vielleicht etwas werden; aber jeden Monat und jeden Sektor muß ich in einer andern Kajuͤte ſchreiben. — Der dritte und vernuͤnftigſte Grund iſt meine Schweſter: ſie iſt wieder von der Reſidentin von Bouſe zuruͤck, erſtlich meil ſie ihre Stelle einer ſchoͤnen Buͤcherpatientin leer zu machen hatte der guten Beata naͤmlich, die der Vater, der Dok¬ tor, der Liebhaber — der dumme Oefel, er wird aber gar nicht beguͤnſtigt — endlich mitten in dieſe Kulmination aller Freuden und Viſiten hinberede¬ ten — zweitens (iſt meine Schweſter da,) weil ichs wollte: aber Schweſter, Schweſter, warum hab' ich dich nicht eher aus dieſem inkruſtirenden Mine¬ ral-Strudel geriſſen? warum haſt du dich ſo ver T 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/327>, abgerufen am 21.11.2024.