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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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geglaubt und es ist warlich nicht einerlei ob uns
ein Tisch oder eine Chaussee trennt -- wenn du ei¬
nen von Hörensagen hassest: so gehe in sein Haus
und sehe zu ob du, wenn du in seinen Gesprächen
so manchen schönen Zug, in seinem Betragen ge¬
gen das Kind oder Weib das er liebt, so manches
Zeichen der Liebe aufgefunden hast, ob du da mit
dem hereingebrachten Hasse wieder hinausgehest.
War gegenwärtiger Verfasser in seinem Leben ge¬
gen etwas eingenommen, so warens die Großen;
seitdem er aber in seinen Klavierstunden zu Schee¬
rau Gelegenheit gehabt, mit manchem Großen
unter einem Deckengemälde zu stehen, seitdem er
selbst unter diesen Riesen mit herumspringt: so
sieht er, daß ein Minister, der ein Volk drückt,
seine Kinder lieben und daß der Menschenfeind am
Sessionstisch, ein Menschenfreund am Nähpult sei¬
nes Weibes seyn kann. So haben die Alpenspitzen
in der Ferne ein kahles steiles Ansehen, in der
Nähe aber Platz und gute Kräuter genug.

Ich gesteh' es also, da nach altväterischer Sit¬
te (an Geburtstagen bei Hofe speist' ich dergleichen
nie) eine Biscuit-Torte aufgetragen wurde, auf
der das Vivat und der Name Röper mit Typen

geglaubt und es iſt warlich nicht einerlei ob uns
ein Tiſch oder eine Chauſſee trennt — wenn du ei¬
nen von Hoͤrenſagen haſſeſt: ſo gehe in ſein Haus
und ſehe zu ob du, wenn du in ſeinen Geſpraͤchen
ſo manchen ſchoͤnen Zug, in ſeinem Betragen ge¬
gen das Kind oder Weib das er liebt, ſo manches
Zeichen der Liebe aufgefunden haſt, ob du da mit
dem hereingebrachten Haſſe wieder hinausgeheſt.
War gegenwaͤrtiger Verfaſſer in ſeinem Leben ge¬
gen etwas eingenommen, ſo warens die Großen;
ſeitdem er aber in ſeinen Klavierſtunden zu Schee¬
rau Gelegenheit gehabt, mit manchem Großen
unter einem Deckengemaͤlde zu ſtehen, ſeitdem er
ſelbſt unter dieſen Rieſen mit herumſpringt: ſo
ſieht er, daß ein Miniſter, der ein Volk druͤckt,
ſeine Kinder lieben und daß der Menſchenfeind am
Seſſionstiſch, ein Menſchenfreund am Naͤhpult ſei¬
nes Weibes ſeyn kann. So haben die Alpenſpitzen
in der Ferne ein kahles ſteiles Anſehen, in der
Naͤhe aber Platz und gute Kraͤuter genug.

Ich geſteh' es alſo, da nach altvaͤteriſcher Sit¬
te (an Geburtstagen bei Hofe ſpeiſt' ich dergleichen
nie) eine Biſcuit-Torte aufgetragen wurde, auf
der das Vivat und der Name Roͤper mit Typen

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[309/0345] geglaubt und es iſt warlich nicht einerlei ob uns ein Tiſch oder eine Chauſſee trennt — wenn du ei¬ nen von Hoͤrenſagen haſſeſt: ſo gehe in ſein Haus und ſehe zu ob du, wenn du in ſeinen Geſpraͤchen ſo manchen ſchoͤnen Zug, in ſeinem Betragen ge¬ gen das Kind oder Weib das er liebt, ſo manches Zeichen der Liebe aufgefunden haſt, ob du da mit dem hereingebrachten Haſſe wieder hinausgeheſt. War gegenwaͤrtiger Verfaſſer in ſeinem Leben ge¬ gen etwas eingenommen, ſo warens die Großen; ſeitdem er aber in ſeinen Klavierſtunden zu Schee¬ rau Gelegenheit gehabt, mit manchem Großen unter einem Deckengemaͤlde zu ſtehen, ſeitdem er ſelbſt unter dieſen Rieſen mit herumſpringt: ſo ſieht er, daß ein Miniſter, der ein Volk druͤckt, ſeine Kinder lieben und daß der Menſchenfeind am Seſſionstiſch, ein Menſchenfreund am Naͤhpult ſei¬ nes Weibes ſeyn kann. So haben die Alpenſpitzen in der Ferne ein kahles ſteiles Anſehen, in der Naͤhe aber Platz und gute Kraͤuter genug. Ich geſteh' es alſo, da nach altvaͤteriſcher Sit¬ te (an Geburtstagen bei Hofe ſpeiſt' ich dergleichen nie) eine Biſcuit-Torte aufgetragen wurde, auf der das Vivat und der Name Roͤper mit Typen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/345>, abgerufen am 21.11.2024.