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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Willst du hier beschrieben seyn, du stilles Land,
über das jezt meine Phantasie so hoch vom Boden
und mit solchem Sehnen hinüber fliegt -- oder du
stille Seele, die du es noch in der Deinigen be¬
wachst und nur ein irrdisches Bild davon auf die
Erde geworfen hast? -- keines von beiden kann ich;
aber den Weg will ich nachzeichnen, den unsre
Freunde dadurch nahmen und vorher theil ich
noch etwas mit, das den sonderbaren Ausgang ih¬
res Spatziergangs gebar.

Ich wuste ohnehin nicht recht, wohin ich den
Brief thun sollte, den Beata sogleich nach meiner
und ihrer Rückkehr von Maussenbach an meine
Schwester schrieb. Sie war in den wenigen Tagen,
die sie mit meiner Philippine bei der Residentin
zubrachte; ihre Freundin geworden. Die Freund¬
schaft der Mädgen besteht oft darin, daß sie ein¬
ander die Hände halten oder einerlei Kleiderfar¬
ben tragen; aber diese hatten lieber einerlei
freundschaftliche Gesinnungen: es war ein Glück
für meine Schwester, daß jene keine Gelegenheit
hatte, ihrem sie halb bestreiffenden Wiederschein
von Koketterie zu begegnen; denn Mädgen erra¬
then nichts leichter als Koketterie und Eitelkeit,
zumal an ihrem Geschlecht.

Willſt du hier beſchrieben ſeyn, du ſtilles Land,
uͤber das jezt meine Phantaſie ſo hoch vom Boden
und mit ſolchem Sehnen hinuͤber fliegt — oder du
ſtille Seele, die du es noch in der Deinigen be¬
wachſt und nur ein irrdiſches Bild davon auf die
Erde geworfen haſt? — keines von beiden kann ich;
aber den Weg will ich nachzeichnen, den unſre
Freunde dadurch nahmen und vorher theil ich
noch etwas mit, das den ſonderbaren Ausgang ih¬
res Spatziergangs gebar.

Ich wuſte ohnehin nicht recht, wohin ich den
Brief thun ſollte, den Beata ſogleich nach meiner
und ihrer Ruͤckkehr von Mauſſenbach an meine
Schweſter ſchrieb. Sie war in den wenigen Tagen,
die ſie mit meiner Philippine bei der Reſidentin
zubrachte; ihre Freundin geworden. Die Freund¬
ſchaft der Maͤdgen beſteht oft darin, daß ſie ein¬
ander die Haͤnde halten oder einerlei Kleiderfar¬
ben tragen; aber dieſe hatten lieber einerlei
freundſchaftliche Geſinnungen: es war ein Gluͤck
fuͤr meine Schweſter, daß jene keine Gelegenheit
hatte, ihrem ſie halb beſtreiffenden Wiederſchein
von Koketterie zu begegnen; denn Maͤdgen erra¬
then nichts leichter als Koketterie und Eitelkeit,
zumal an ihrem Geſchlecht.

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[322/0358] Willſt du hier beſchrieben ſeyn, du ſtilles Land, uͤber das jezt meine Phantaſie ſo hoch vom Boden und mit ſolchem Sehnen hinuͤber fliegt — oder du ſtille Seele, die du es noch in der Deinigen be¬ wachſt und nur ein irrdiſches Bild davon auf die Erde geworfen haſt? — keines von beiden kann ich; aber den Weg will ich nachzeichnen, den unſre Freunde dadurch nahmen und vorher theil ich noch etwas mit, das den ſonderbaren Ausgang ih¬ res Spatziergangs gebar. Ich wuſte ohnehin nicht recht, wohin ich den Brief thun ſollte, den Beata ſogleich nach meiner und ihrer Ruͤckkehr von Mauſſenbach an meine Schweſter ſchrieb. Sie war in den wenigen Tagen, die ſie mit meiner Philippine bei der Reſidentin zubrachte; ihre Freundin geworden. Die Freund¬ ſchaft der Maͤdgen beſteht oft darin, daß ſie ein¬ ander die Haͤnde halten oder einerlei Kleiderfar¬ ben tragen; aber dieſe hatten lieber einerlei freundſchaftliche Geſinnungen: es war ein Gluͤck fuͤr meine Schweſter, daß jene keine Gelegenheit hatte, ihrem ſie halb beſtreiffenden Wiederſchein von Koketterie zu begegnen; denn Maͤdgen erra¬ then nichts leichter als Koketterie und Eitelkeit, zumal an ihrem Geſchlecht.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/358>, abgerufen am 29.05.2024.