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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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genflügel Stürme -- daß er sagte, ein Mensch
ohne Leidenschaft wäre noch ein größerer Egoist als
einer mit heftigen; einen den das nahe Feuer der
sinnlichen Welt nicht entzünde, stamme das weite
Fixsternlicht der intellektuellen noch viel weniger an;
der Stoiker unterscheide sich vom abgenützten Hof¬
mann nur darin, daß die Erkältung des erstern
von innen nach aussen fortgehe, die des andern
aber von aussen nach innen . . . . Ich weiß nicht
obs bei dem innen brennenden, aussen glatteisen¬
den Hofmann so ist; aber beim Glase ists so, daß
es wenn es von aussen und nach dem glühenden
Kern zu erkaltet, hol und zerbrechlich wird: es
muß umgekehrt seyn . . .

Alle Leidenschaften täuschen sich nicht über die
Art, oder den Grad, sondern über den Gegen¬
stand
der Empfindung; nämlich so:

Darin irren unsere Leidenschaften nicht, daß
sie irgend einen Menschen hassen oder lieben: --
denn sonst verfiele alle moralische Häßlichkeit und
Schönheit; -- auch darin nicht, daß sie über et¬
was jammern oder frolocken -- denn sonst wär' auch
die kleinste Freuden- oder Kummerthräne über Glück
und Unglück unerlaubt und wir dürften nichts mehr

genfluͤgel Stuͤrme — daß er ſagte, ein Menſch
ohne Leidenſchaft waͤre noch ein groͤßerer Egoiſt als
einer mit heftigen; einen den das nahe Feuer der
ſinnlichen Welt nicht entzuͤnde, ſtamme das weite
Fixſternlicht der intellektuellen noch viel weniger an;
der Stoiker unterſcheide ſich vom abgenuͤtzten Hof¬
mann nur darin, daß die Erkaͤltung des erſtern
von innen nach auſſen fortgehe, die des andern
aber von auſſen nach innen . . . . Ich weiß nicht
obs bei dem innen brennenden, auſſen glatteiſen¬
den Hofmann ſo iſt; aber beim Glaſe iſts ſo, daß
es wenn es von auſſen und nach dem gluͤhenden
Kern zu erkaltet, hol und zerbrechlich wird: es
muß umgekehrt ſeyn . . .

Alle Leidenſchaften taͤuſchen ſich nicht uͤber die
Art, oder den Grad, ſondern uͤber den Gegen¬
ſtand
der Empfindung; naͤmlich ſo:

Darin irren unſere Leidenſchaften nicht, daß
ſie irgend einen Menſchen haſſen oder lieben: —
denn ſonſt verfiele alle moraliſche Haͤßlichkeit und
Schoͤnheit; — auch darin nicht, daß ſie uͤber et¬
was jammern oder frolocken — denn ſonſt waͤr' auch
die kleinſte Freuden- oder Kummerthraͤne uͤber Gluͤck
und Ungluͤck unerlaubt und wir duͤrften nichts mehr

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[374/0410] genfluͤgel Stuͤrme — daß er ſagte, ein Menſch ohne Leidenſchaft waͤre noch ein groͤßerer Egoiſt als einer mit heftigen; einen den das nahe Feuer der ſinnlichen Welt nicht entzuͤnde, ſtamme das weite Fixſternlicht der intellektuellen noch viel weniger an; der Stoiker unterſcheide ſich vom abgenuͤtzten Hof¬ mann nur darin, daß die Erkaͤltung des erſtern von innen nach auſſen fortgehe, die des andern aber von auſſen nach innen . . . . Ich weiß nicht obs bei dem innen brennenden, auſſen glatteiſen¬ den Hofmann ſo iſt; aber beim Glaſe iſts ſo, daß es wenn es von auſſen und nach dem gluͤhenden Kern zu erkaltet, hol und zerbrechlich wird: es muß umgekehrt ſeyn . . . Alle Leidenſchaften taͤuſchen ſich nicht uͤber die Art, oder den Grad, ſondern uͤber den Gegen¬ ſtand der Empfindung; naͤmlich ſo: Darin irren unſere Leidenſchaften nicht, daß ſie irgend einen Menſchen haſſen oder lieben: — denn ſonſt verfiele alle moraliſche Haͤßlichkeit und Schoͤnheit; — auch darin nicht, daß ſie uͤber et¬ was jammern oder frolocken — denn ſonſt waͤr' auch die kleinſte Freuden- oder Kummerthraͤne uͤber Gluͤck und Ungluͤck unerlaubt und wir duͤrften nichts mehr

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/410>, abgerufen am 21.11.2024.