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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Vor Wochen kam meine alte Krankheit wieder
zu mir, das hitzige Fieber. Ich eilte mit ihr nach
meinem Ruhestatt und mein erstes Wort zu
meinem Hausverwalter -- da ich dich nicht haben
konnte -- war, mich sogleich als ich ohne Leben
wäre, zu beerdigen, weil die Gewölbluft leichter
erweckt aber nichts zuzusperren, weder Sarg noch
Erbgruft -- die einsame Kirche am Park steht oh¬
nehin offen. Auch sagt' ich ihm, meinen Spitz¬
hund, der nicht von mir bleibt, überall mitzu¬
lassen. Noch zu Nachts nahm das Fieber zu; aber
beim Blutlassen bricht meine Zurückerinnerung ab.
Ich weiß bloß noch, daß ich das Blut mit einigem
Schauder um meinem Arm sich krümmen sah; und
daß ich dachte: "das ist das Menschenblut, das
uns heilig ist, das das Kartenhaus und das Spar¬
werk unsers Ichs ausküttet und in welchem die
unsichtbaren Räder unsers Lebens und unserer
Triebe gehen." Dieses Blut sprützte nachher an
alle Phantasien meiner Fiebernächte: das einge¬
tauchte Universum stieg blutroth daraus herauf und
alle Menschen schienen mir an einem langen Ufer ei¬
nen Strom zusammen zu bluten, der über die Erde hin¬
aus in eine trinkende Tiefe hinab sprang -- Gedanken,

Vor Wochen kam meine alte Krankheit wieder
zu mir, das hitzige Fieber. Ich eilte mit ihr nach
meinem Ruheſtatt und mein erſtes Wort zu
meinem Hausverwalter — da ich dich nicht haben
konnte — war, mich ſogleich als ich ohne Leben
waͤre, zu beerdigen, weil die Gewoͤlbluft leichter
erweckt aber nichts zuzuſperren, weder Sarg noch
Erbgruft — die einſame Kirche am Park ſteht oh¬
nehin offen. Auch ſagt' ich ihm, meinen Spitz¬
hund, der nicht von mir bleibt, uͤberall mitzu¬
laſſen. Noch zu Nachts nahm das Fieber zu; aber
beim Blutlaſſen bricht meine Zuruͤckerinnerung ab.
Ich weiß bloß noch, daß ich das Blut mit einigem
Schauder um meinem Arm ſich kruͤmmen ſah; und
daß ich dachte: „das iſt das Menſchenblut, das
uns heilig iſt, das das Kartenhaus und das Spar¬
werk unſers Ichs auskuͤttet und in welchem die
unſichtbaren Raͤder unſers Lebens und unſerer
Triebe gehen.“ Dieſes Blut ſpruͤtzte nachher an
alle Phantaſien meiner Fiebernaͤchte: das einge¬
tauchte Univerſum ſtieg blutroth daraus herauf und
alle Menſchen ſchienen mir an einem langen Ufer ei¬
nen Strom zuſammen zu bluten, der uͤber die Erde hin¬
aus in eine trinkende Tiefe hinab ſprang — Gedanken,

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[137/0147] Vor Wochen kam meine alte Krankheit wieder zu mir, das hitzige Fieber. Ich eilte mit ihr nach meinem Ruheſtatt und mein erſtes Wort zu meinem Hausverwalter — da ich dich nicht haben konnte — war, mich ſogleich als ich ohne Leben waͤre, zu beerdigen, weil die Gewoͤlbluft leichter erweckt aber nichts zuzuſperren, weder Sarg noch Erbgruft — die einſame Kirche am Park ſteht oh¬ nehin offen. Auch ſagt' ich ihm, meinen Spitz¬ hund, der nicht von mir bleibt, uͤberall mitzu¬ laſſen. Noch zu Nachts nahm das Fieber zu; aber beim Blutlaſſen bricht meine Zuruͤckerinnerung ab. Ich weiß bloß noch, daß ich das Blut mit einigem Schauder um meinem Arm ſich kruͤmmen ſah; und daß ich dachte: „das iſt das Menſchenblut, das uns heilig iſt, das das Kartenhaus und das Spar¬ werk unſers Ichs auskuͤttet und in welchem die unſichtbaren Raͤder unſers Lebens und unſerer Triebe gehen.“ Dieſes Blut ſpruͤtzte nachher an alle Phantaſien meiner Fiebernaͤchte: das einge¬ tauchte Univerſum ſtieg blutroth daraus herauf und alle Menſchen ſchienen mir an einem langen Ufer ei¬ nen Strom zuſammen zu bluten, der uͤber die Erde hin¬ aus in eine trinkende Tiefe hinab ſprang — Gedanken,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/147>, abgerufen am 24.11.2024.