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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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um die Erde zu bevölkern, so haben sich viele Kos¬
mopoliten in der nämlichen Absicht ein kurzes
vorgenommen und gern das Leben von andern
Menschen mit einem Kurzius-Sturz in den tödtli¬
chen Schlund erkauft. Es ist aber noch die Frage,
obs wahr ist. -- Die vierte Ursache kenn' ich aus
geheimen mystischen Gesellschaften, wo eben jene
Menschen-Segmente sie kennen lernten. Heutiges
Tages muß jede Seele von -- Stand desorgani¬
sirt und entkörpert werden. Hier hat man
nun nicht mehr als zwei ganz verschiedne Opera¬
tionen. Die kürzeste und schlechteste meines Er¬
achtens ist die, daß sich der Mensch -- aufhenkt
und daß so die Seele den Körper von sich wie eine
Warze abbindet. Ich würde keinen Großen des¬
halb tadeln wenn ich nicht wüste, daß er die weit
bessere und sanftere Operation vor sich habe, wo¬
durch er seinen Leib gleichsam als die Form wor¬
ein die geistige Statue gegossen ist, bloß gliedweise
ablösen kann. Ich will hier nicht in den Fehler
der Kürze sondern lieber in den entgegengesetzten
fallen. Also: der Körper ist nach Philosophen, die
auch eine Seele haben, bloß ein Werkzeug, ihre
oder unsre auszubilden und sie an die Entbehrung

2. Theil. M

um die Erde zu bevoͤlkern, ſo haben ſich viele Kos¬
mopoliten in der naͤmlichen Abſicht ein kurzes
vorgenommen und gern das Leben von andern
Menſchen mit einem Kurzius-Sturz in den toͤdtli¬
chen Schlund erkauft. Es iſt aber noch die Frage,
obs wahr iſt. — Die vierte Urſache kenn' ich aus
geheimen myſtiſchen Geſellſchaften, wo eben jene
Menſchen-Segmente ſie kennen lernten. Heutiges
Tages muß jede Seele von — Stand desorgani¬
ſirt und entkoͤrpert werden. Hier hat man
nun nicht mehr als zwei ganz verſchiedne Opera¬
tionen. Die kuͤrzeſte und ſchlechteſte meines Er¬
achtens iſt die, daß ſich der Menſch — aufhenkt
und daß ſo die Seele den Koͤrper von ſich wie eine
Warze abbindet. Ich wuͤrde keinen Großen des¬
halb tadeln wenn ich nicht wuͤſte, daß er die weit
beſſere und ſanftere Operation vor ſich habe, wo¬
durch er ſeinen Leib gleichſam als die Form wor¬
ein die geiſtige Statue gegoſſen iſt, bloß gliedweiſe
abloͤſen kann. Ich will hier nicht in den Fehler
der Kuͤrze ſondern lieber in den entgegengeſetzten
fallen. Alſo: der Koͤrper iſt nach Philoſophen, die
auch eine Seele haben, bloß ein Werkzeug, ihre
oder unſre auszubilden und ſie an die Entbehrung

2. Theil. M
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[177/0187] um die Erde zu bevoͤlkern, ſo haben ſich viele Kos¬ mopoliten in der naͤmlichen Abſicht ein kurzes vorgenommen und gern das Leben von andern Menſchen mit einem Kurzius-Sturz in den toͤdtli¬ chen Schlund erkauft. Es iſt aber noch die Frage, obs wahr iſt. — Die vierte Urſache kenn' ich aus geheimen myſtiſchen Geſellſchaften, wo eben jene Menſchen-Segmente ſie kennen lernten. Heutiges Tages muß jede Seele von — Stand desorgani¬ ſirt und entkoͤrpert werden. Hier hat man nun nicht mehr als zwei ganz verſchiedne Opera¬ tionen. Die kuͤrzeſte und ſchlechteſte meines Er¬ achtens iſt die, daß ſich der Menſch — aufhenkt und daß ſo die Seele den Koͤrper von ſich wie eine Warze abbindet. Ich wuͤrde keinen Großen des¬ halb tadeln wenn ich nicht wuͤſte, daß er die weit beſſere und ſanftere Operation vor ſich habe, wo¬ durch er ſeinen Leib gleichſam als die Form wor¬ ein die geiſtige Statue gegoſſen iſt, bloß gliedweiſe abloͤſen kann. Ich will hier nicht in den Fehler der Kuͤrze ſondern lieber in den entgegengeſetzten fallen. Alſo: der Koͤrper iſt nach Philoſophen, die auch eine Seele haben, bloß ein Werkzeug, ihre oder unſre auszubilden und ſie an die Entbehrung 2. Theil. M

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/187>, abgerufen am 21.11.2024.